I. Gegenwärtige Gefahr.
Rn 4
Nach allg Auffassung erfordert die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr, dass zur Abwendung von Schäden für das Rechtsgut des Dritten sofortige Abhilfe notwendig ist (Staud/Althammer Rz 12 mwN). Einerseits muss also der Eintritt eines Schadens unmittelbar bevorstehen, andererseits müssen zur Verhinderung des Schadenseintritts umgehende Maßnahmen erforderlich sein.
Rn 5
Eine Gefahr liegt dann vor, wenn die Sicherheit für ein Rechtsgut so stark beeinträchtigt ist, dass der Eintritt eines Schadens droht. Für die Annahme, ein Schaden werde eintreten, reicht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit aus; nicht erforderlich ist eine hypothetische Gewissheit iSe sicheren Vorhersehbarkeit. Unerheblich ist die Gefahrenursache; die Gefahr kann von Menschen, Tieren, Sachen und Naturkräften ausgehen. Liegt allerdings das Gefahrenpotenzial in der Sache, auf die eingewirkt wird, ist das kein Fall des § 904, sondern einer des § 228 (Kobl NJW-RR 89, 541 [OLG Koblenz 14.07.1988 - 5 U 115/88]). Nicht erforderlich ist, dass die Gefahr ihre Ursache in einem außergewöhnlichen Ereignis hat (aA RGZ 57, 187, 191). Ebenfalls unerheblich ist, wessen Rechtsgüter der Gefahr ausgesetzt sind; das kann sowohl derjenige sein, der den Eingriff in die fremde Sache vornimmt, als auch ein Dritter. Kein Fall des § 904 ist es, wenn der Dritte Eigentümer der Sache ist, auf die eingewirkt wird; denn der Aufopferungsgedanke (Rn 2) zielt darauf ab, die eigene Sache zur Erhaltung fremder Werte aufzugeben. Auch auf die Art des gefährdeten Rechtsguts kommt es nicht an; geschützt werden die Person und das Vermögen des Gefährdeten. Unerheblich ist auch, ob die Gefahr verschuldet oder unverschuldet ist.
Rn 6
Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn sie unmittelbar bevor steht. Nicht gegenwärtig sind somit Gefahren, die erst in der Zukunft drohen oder die bereits vorüber sind. Deshalb findet § 904 zum einen nur dann Anwendung, wenn auch hinsichtlich des Zeitpunkt des Gefahreneintritts ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass das in Kürze der Fall sein wird; zum anderen scheidet die Anwendung der Vorschrift aus, wenn sich eine frühere Gefahr nicht oder bereits in der Vergangenheit verwirklicht hat. Unerheblich ist, wie lange die Gefahr andauert. Typischerweise sind solche Gefahren gegenwärtig, die kurzfristig auftreten wie zB Unwetter. Jedoch können auch lang andauernde Gefahren gegenwärtig sein, wenn jederzeit mit dem Eintritt eines Schadens gerechnet werden muss; Voraussetzung ist, dass es ausgeschlossen erscheint, dass die Gefahr sich nicht verwirklicht oder anders als durch den Eingriff in die fremde Sache abgewendet werden kann, und dass bei Beginn ihrer Verwirklichung ein Eingreifen voraussichtlich zu spät wäre (Braunschw OLGR 95, 207).
II. Notstandshandlung.
Rn 7
Notstandshandlung ist die zur Gefahrenabwehr vorgenommene Einwirkung auf eine fremde Sache. Sie kann in der Benutzung, Beschädigung, Veränderung oder Zerstörung der Sache liegen. Die Einwirkung muss nicht unmittelbar erfolgen; eine nur mittelbare Einwirkung reicht aus (RGZ 57, 187, 190). Auch der entstehende Schaden muss nicht unmittelbar durch den Eingriff hervorgerufen werden, sondern kann auch dessen mittelbare Folge sein.
Rn 8
In subjektiver Hinsicht erfordert der gerechtfertigte Eingriff wenigstens Eventualvorsatz bei dem Eingreifenden; er muss bewusst und gewollt zur Gefahrenabwehr tätig werden. Rein zufällige Eingriffe sind nicht nach § 904 gerechtfertigt. Der Eingreifende muss sich die Schädigung der fremden Sache zumindest als mögliche Folge seines Eingriffs in den fremden Rechtskreis vorgestellt und sie billigend in Kauf genommen haben. Das folgt zum einen aus dem Wortlaut von 1, denn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr ist nur bei einer Ziel gerichteten und von dem Willen getragenen Handlungsweise möglich, und zum anderen schafft die Vorschrift keinen Rechtfertigungsgrund für die Rettungshandlung, sondern sie rechtfertigt die Eingriffshandlung, weshalb sich der Wille des Handelnden auf den Eingriff in den fremden Rechtskreis selbst und nicht nur auf die Vornahme der Rettungshandlung beziehen muss (BGHZ 92, 357, 359f). Praktische Bedeutung erlangt das Problem hauptsächlich bei der Beurteilung von Gefahrensituationen im Straßenverkehr, zB wenn ein Verkehrsteilnehmer zur Vermeidung einer Kollision mit einem verkehrswidrig fahrenden Fahrzeug auf die Gegenfahrbahn ausweicht und dort ein entgegenkommendes Fahrzeug beschädigt. Hat der Ausweichende diese Beschädigung nicht von vornherein in Erwägung gezogen, sondern erfolgte sie zufällig und ungewollt, ist das kein Fall des § 904.
III. Notwendigkeit.
Rn 9
Das Merkmal der Notwendigkeit hat eine zweifache Bedeutung. Zum einen muss die Rettungshandlung zur Gefahrenabwehr geeignet sein; ungeeignete Maßnahmen sind nicht nach § 904 1 gerechtfertigt. Zum anderen muss die Möglichkeit ausgeschlossen sein, dass andere geeignete Handlungen, die entweder keinen oder einen weniger schweren Eingriff in die fremde Sache zur Folge haben, zu demselben Ergebnis geführt hätten....