Rn 23
Die Pflicht zur Duldung einer wesentlichen Beeinträchtigung setzt voraus, dass die Benutzung des Grundstücks, von welchem die Beeinträchtigung ausgeht, ortsüblich ist. Das ist dann der Fall, wenn eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung mit einer nach Art und Ausmaß einigermaßen gleichen Einwirkung benutzt wird (BGHZ 120, 239, 260).
Rn 24
Als Vergleichsgebiet ist grds das gesamte Gemeindegebiet, in welchem das emittierende Grundstück liegt, zu betrachten. Allerdings kommt im Einzelfall sowohl eine Erweiterung des Vergleichsgebiets über die Gemeindegrenzen hinaus in Betracht, wenn eine bestimmte Grundstücksnutzung (zB Bergbau) ein räumlich großes Gebiet prägt (BGHZ 30, 273, 277), als auch eine Begrenzung auf einzelne Teile des Gemeindegebiets, wenn diese wegen der dort typischen Grundstücksnutzung (zB Villen- oder Industrieviertel) ein erkennbar eigentümliches, von anderen Ortsteilen verschiedenes Gepräge aufweisen (BGH NJW 59, 1632, 1633). Überörtliche Verkehrsanlagen müssen in sich als Ganzes iVm dem verkehrsmäßig zu erschließenden Raum gewürdigt werden; ein einzelner Teil der Anlage (zB Straße) kann nicht nur im Zusammenhang mit einem Gebiet von bestimmtem Charakter beurteilt werden (BGHZ 54, 384, 390). Andererseits kann ein einziges Grundstück aufgrund seiner spezifischen Nutzung den Gebietscharakter prägen (Flughafen: BGHZ 69, 105, 111).
Rn 25
Die einmalige Nutzung des störenden Grundstücks in dem Vergleichsgebiet führt idR nicht zur Ortsüblichkeit; die Benutzungen müssen öfter geschehen (BGH MDR 78, 1005). Ausnahmen hiervon sind jedoch möglich, wenn bereits das Halten der Anlage auf dem Grundstück, von welchem die Beeinträchtigung ausgeht, ortsüblich ist; das kommt zB in Betracht bei Arbeiten zur Erhaltung eines die Umgebung prägenden Baudenkmals (BGH MDR 77, 128), bei Abbrucharbeiten (BGH NJW 62, 1342) oder bei Straßenbauarbeiten (BGHZ 72, 289, 296). In diesen Fällen sind auch die vorübergehend erhöhten Einwirkungen ortsüblich, weil sie durch die normale ortsübliche Benutzung des Grundstücks herbeigeführt werden. Das gilt allerdings nicht für besonders starke Einwirkungen, die bei gleichartigen Maßnahmen üblicherweise nicht auftreten (BGHZ 54, 384, 391f).
Rn 26
Ortsüblich sind auch erhöhte Einwirkungen, die auf einer intensiveren Nutzung des störenden Grundstücks beruhen. In erster Linie gilt das für Steigerungen des Verkehrsaufkommens auf Straßen (BGHZ 49, 148, 151) und im Luftverkehr (BGHZ 69, 105, 111). Erhöhte Einwirkungen, die von einem Wechsel der Bewirtschaftungsart des beeinträchtigenden Grundstücks herrühren, können ebenfalls ortsüblich sein, zB wenn die Bewirtschaftung eines Bauernhofs der modernen Betriebsführung angepasst wird; wenn jedoch der landwirtschaftliche Betrieb in einen gewerblichen Betrieb umgewandelt wird, sind die danach auftretenden Einwirkungen nicht mehr ortsüblich (BGHZ 48, 31, 33f).
Rn 27
Nur für gleichartige Einwirkungen kann die Ortsüblichkeit bejaht werden. Grundstücke, von denen unterschiedliche Einwirkungen (zB Geräusche und Gerüche) ausgehen, dürfen nicht in die Beurteilung einbezogen werden. Die Quelle der Einwirkungen muss dagegen nicht dieselbe sein; entscheidend ist nur die Gleichartigkeit, zB Fabrik- und Straßenlärm (BGHZ 46, 35, 38).
Rn 28
Die Ortsüblichkeit einer Einwirkung beurteilt sich – ebenso wie die der Wesentlichkeit (Rn 17 ff) – nach den in dem maßgeblichen Vergleichsgebiet im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz tatsächlichen Verhältnissen (BGHZ 148, 261, 267). Grds ist es unerheblich, ob mit der Benutzung des beeinträchtigten Grundstücks früher oder später als mit der Benutzung des beeinträchtigenden Grundstücks begonnen wurde. Dem Gedanken der zeitlichen Priorität kommt bei dem primären Rechtsschutz nach §§ 1004 I iVm 906 II 1 idR keine Bedeutung zu. Unter dem Gesichtspunkt der aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (§ 903 Rn 14 ff) folgenden Mitverantwortung des beeinträchtigten Grundstückseigentümers für einen vorhersehbaren Konflikt kann sich jedoch für ihn eine gesteigerte Duldungspflicht ggü solchen Einwirkungen ergeben, von denen sein Grundstück bereits vor der von ihm begonnenen Benutzung betroffen war. Das erlangt vor allen Dingen in den Fällen Bedeutung, in denen eine Wohnbebauung nahe an ein Industriegebiet heranrückt (BGHZ 148, 261, 269).
Rn 29
Eine öffentlich-rechtliche Genehmigung der Anlage, von welcher die Beeinträchtigung ausgeht, begründet nicht automatisch die Ortsüblichkeit. Ihr Fehlen schließt jedoch die Ortsüblichkeit aus (BGHZ 140, 1, 9).