Rn 41
Der Anwendungsbereich des II 2 ist im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung stark erweitert worden. Nach ständiger Rspr des BGH ist der sog nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch immer dann gegeben, wenn von einem Grundstück iRs privatwirtschaftlichen Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, welche dessen Eigentümer oder Besitzer zwar nicht dulden muss, die er aber aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht nach §§ 862 I, 1004 I unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (s nur BGH WuM 21, 188f [BGH 18.12.2020 - V ZR 193/19]). Unter diesen Voraussetzungen ist der Ausgleichsanspruch auch bei anderen Einwirkungen als den in I 1 genannten gegeben, zB bei Grobimmissionen wie Schrotblei (BGHZ 111, 158) und Wasser (BGHZ 198, 327, 330). Auch für die durch einen technischen Defekt an elektrischen Leitungen verursachten Brandschäden an einem benachbarten Haus ist ein Ausgleich zu zahlen (BGH NJW 99, 2896, 2897). Dasselbe gilt, wenn infolge von Handwerkerarbeiten das Nachbarhaus in Brand gerät (BGH WM 18, 1761, 1762). Eine unzulässige Vertiefung (§ 909) kann ebenfalls den Ausgleichsanspruch begründen (BGHZ 147, 45, 50). In jedem Fall ist Anspruchsvoraussetzung, dass die beeinträchtigenden Einwirkungen von einer der konkreten Grundstücksnutzung entsprechenden Benutzung des emittierenden Grundstücks ausgehen und zu diesem einen sachlichen Bezug aufweisen (BGH NZM 09, 834 [BGH 18.09.2009 - V ZR 75/08]). Der Anspruch besteht nicht bei Beeinträchtigungen, die durch die unverschuldete Explosion eines Blindgängers aus dem Zweiten Weltkrieg verursacht wurden (BGH MDR 19, 1130, 1131 [BGH 05.07.2019 - V ZR 96/18]).
Rn 42
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist subsidiär (BGHZ 178, 90, 98); er kann jedoch neben einer an landesrechtliche Nachbarrechtsvorschriften anknüpfenden Deliktshaftung bestehen (BGH NJW 11, 3294, 3296 [BGH 15.07.2011 - V ZR 277/10]). Er setzt voraus, dass der Eigentümer oder Besitzer des beeinträchtigten Grundstücks (Rn 38) aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkung nach §§ 862 I, 1004 I rechtzeitig zu unterbinden. Das kann sowohl auf rechtlichen als auch auf tatsächlichen Gründen beruhen. Als rechtliche Hinderungsgründe kommen alle öffentlich- und privatrechtlichen Duldungspflichten in Betracht, also auch die aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (§ 903 Rn 14 ff) und die auf dem Ablauf von Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Abwehransprüchen beruhenden Duldungspflichten (BGHZ 157, 33). Tatsächliche Hinderungsgründe begründen einen sog ›faktischen Duldungszwang‹. Er kann sich zB daraus ergeben, dass der Abwehranspruch mangels Erkennbarkeit und Kenntnis von der bevorstehenden Beeinträchtigung nicht rechtzeitig geltend gemacht werden konnte (BGHZ 155, 99, 103) oder dass der Beeinträchtigte auf die Zusage des Beeinträchtigenden vertraute, die Beeinträchtigung zu beseitigen, und sie durch das Geltendmachen des Abwehranspruchs nicht schneller beseitigt würde als durch die von dem Beeinträchtigenden versprochenen Maßnahmen (BGH NJW 95, 714 [BGH 18.11.1994 - V ZR 98/93]).
Rn 43
Der Höhe nach ist der Anspruch auf den Ausgleich solcher Einwirkungen beschränkt, die das entschädigungslos zu duldende Maß überschreiten. Ausgeglichen wird – wie bei der direkten Anwendung von II 2 (Rn 36 f) – nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung; der Ausgleich soll die durch die Beeinträchtigung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen. In diesem Rahmen umfasst der Anspruch auch Vermögenseinbußen infolge der Beschädigung sich auf dem beeinträchtigten Grundstück befindlicher beweglicher Sachen (BGH NJW 08, 992f [BGH 01.02.2008 - V ZR 47/07]).
Rn 44
Hinsichtlich des Ausgleichsberechtigten gelten dieselben Grundsätze wie im direkten Anwendungsbereich von II 2 (Rn 38 f). Zum Ausgleich verpflichtet ist der Störer. Der Anspruch kommt auch dann in Betracht, wenn die Nutzung des Sondereigentums eines Wohnungseigentümers durch rechtswidrige Einwirkungen beeinträchtigt wird, die von im Sondereigentum eines anderen Wohnungseigentümers stehenden Räumen ausgehen (BGH WuM 21, 188, 189 [BGH 18.12.2020 - V ZR 193/19]). Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum, von dem die Einwirkung ausgeht. Von den Fällen des unmittelbaren Handlungsstörers abgesehen, ist vielmehr die Feststellung erforderlich, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Eigentümer die Verantwortung für das Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Eigentums, von dem die Einwirkung ausgeht, eine ›Sicherungspflicht‹ ergibt, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke. Mit der Sicherungspflicht ist keine Sorgfaltspflicht im schuldrechtlichen Sinne gemeint, die von dem Eigentümer verletzt worden sein muss. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Eigentümer nach wertender Betrachtung für den gefahre...