Rn 10
Der wichtigste Anwendungsfall des § 921 ist die Nachbarwand; sie wird auch halbscheidige Giebelmauer oder Kommunmauer genannt. Darunter versteht man eine Mauer, die von einem Grundstückseigentümer (idR) zur Hälfte auf seinem und zur anderen Hälfte auf dem Nachbargrundstück errichtet wurde oder durch eine spätere Grundstücksteilung auf der neuen Grenze steht, wobei beide Eigentümer darüber einig waren oder wenigstens der Erbauer erwartet hat, dass der Nachbar die Mauer für den Bau seines Hauses benutzen kann (BGH ZNotP 21, 342 Rz 22). Diese Zweckbestimmung muss nicht schon bei der Errichtung der Wand vorliegen, sondern kann auch später durch Vereinbarung der Nachbarn getroffen werden (BGH MDR 14, 460, 461 [BGH 17.01.2014 - V ZR 292/12]). Regelungen zur Nachbarwand – mit Ausnahme zur Eigentumslage – enthalten die Landesnachbargesetze (Übersicht bei Staud/Roth Rz 20).
Rn 11
Die Errichtung der teilweise grenzüberschreitenden Nachbarwand setzt vorbehaltlich anderer landesrechtlicher Regelungen nicht die Zustimmung des Nachbarn voraus. Fehlt sie, kann er nach § 912 I 1 zur Duldung der Grenzüberschreitung verpflichtet sein; allerdings ist er dann durch die Zahlung einer Überbaurente zu entschädigen (§ 912 II). Der Erbauer ist Alleineigentümer der Wand (BGHZ 57, 245, 248).
Rn 12
Das Recht des Nachbarn zur Benutzung der Wand für sein eigenes Gebäude kann sich entweder aus einer Vereinbarung mit dem Erbauer oder aus § 921 ergeben. Letzteres kommt allerdings nur in Betracht, wenn der Erbauer vorsätzlich oder grob fahrlässig über die Grundstücksgrenze gebaut hat (unentschuldigter Überbau, § 912 Rn 14); denn in diesem Fall wird das Eigentum an der Wand lotrecht geteilt mit der Folge, dass der Nachbar Alleineigentümer des auf seinem Grundstück stehenden Teils der Wand ist (BGHZ 57, 245, 248f). In den anderen Fällen der weder vorsätzlich noch grob fahrlässig (entschuldigter Überbau) und der mit Zustimmung des Nachbarn (rechtmäßiger Überbau) errichteten Wand erwirbt der Erbauer das Alleineigentum, somit auch das Eigentum an dem über die Grundstücksgrenze übergebauten Teil (BGHZ 57, 245, 248). Zur Benutzung dieses Teils als Wand seines eigenen Gebäudes bedarf der Nachbar der Zustimmung des Erbauers. Soll an die Nachbarwand angebaut werden, muss der Eigentümer des Grundstücks, von dem aus bereits angebaut ist, überstehende Bauteile auf seine Kosten entfernen (BGH NZM 21, 725 [BGH 12.03.2021 - V ZR 31/20] Rz 19).
Rn 13
Hat der Nachbar seinerseits an die Wand angebaut, wird sie mit dem Anbau Miteigentum der beiden Grundstückseigentümer; das gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Errichtung der Wand um einen entschuldigten, einen unentschuldigten oder um einen rechtmäßigen Überbau gehandelt hat (BGHZ 57, 245, 248f). Die Größe der Miteigentumsanteile bestimmt sich nach dem Verhältnis der von dem Anbau bedeckten Fläche der Wand zu ihrer Gesamtfläche (BGHZ 36, 46, 54). Voraussetzung ist allerdings, dass die Wand mit dem Anbau auch wesentlicher Bestandteil des Nachbarhauses wird. Das ist dann der Fall, wenn der Anbau ohne die Wand statisch unselbstständig ist (BGHZ 36, 46, 52).
Rn 14
Nach dem Anbau durch den Nachbarn ändert sich an den Eigentumsverhältnissen an der Wand (Rn 13) nichts, wenn später eines der beiden Häuser zerstört oder abgerissen wird, falls alsbald ein neues Gebäude an die Wand angebaut werden soll (BGHZ 57, 245). Dasselbe gilt für den Fall, dass der Anbau eines neuen Hauses unterbleibt, der Nachbar die Wand jedoch anders für seine Zwecke nutzt (Reklamefläche: BGH DB 75, 1843 [BGH 22.11.1974 - V ZR 177/73]).
Rn 15
Mit dem Anbau auf dem Nachbargrundstück wird die Wand zur Grenzanlage iSd § 921. Von diesem Zeitpunkt an gilt die Vermutung des Rechts der gemeinschaftlichen Benutzung (Rn 8). Will einer der Teilhaber den frei liegenden Teil der Wand dämmen, kann er nach § 745 II von dem anderen Teilhaber nicht die Duldung baulicher Eingriffe in Gebäudeteile verlangen, die nicht der gemeinsamen Verwaltung unterliegen (BGH ZfIR 19, 813).
Rn 16
Werden beide Gebäude einschl der Wand zerstört oder abgerissen und baut einer der beiden Grundstückseigentümer ein neues Haus wiederum mit einer Wand über die Grenze, wird er zunächst Alleineigentümer der Wand (Köln NJW-RR 93, 87, 88 [OLG Köln 05.05.1992 - 20 U 243/91]). Mit dem Anbau eines Nachbarhauses entsteht wieder Bruchteilseigentum (Rn 13).
Rn 17
Für den Eigentumsverlust infolge des Anbaus auf dem Nachbargrundstück (Rn 13) erhält der Erbauer der Wand nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung Wertersatz in Höhe des der Größe des von dem Nachbarn erlangten Miteigentumsanteils (Rn 13) entspr Wertes der Wand, den sie zur Zeit des Anbaus hat (BGHZ 27, 197, 203).
Rn 18
Entsprechende Anwendung findet die Vorschrift auf das sog Nachbareigentum im Wohnungseigentumsrecht. Es liegt vor, wenn an einer nicht nach § 5 II WEG im Gemeinschaftseigentum stehenden Mauer, die zwei Sondereigentumseinheiten voneinander trennt, Sondereigentum der beiden Eigentümer begründet wurde, so...