Gesetzestext
Eine bewegliche Sache wird herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 959 regelt die Dereliktion (Eigentumsaufgabe). Diese ist eine Voraussetzung für die Aneignung nach § 958. Die Dereliktion ist ein einseitiges Rechtsgeschäft im Gegensatz zur Aneignung (s.o. § 958 Rn 2). IE s.u. Rn 2.
B. Tatbestandsvoraussetzungen.
Rn 2
Die Aufgabe des Eigentums setzt eine Aufgabeerklärung des Eigentümers und die freiwillige tatsächliche Besitzaufgabe voraus. Die Aufgabeerklärung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft iS einer nicht empfangsbedürftigen einseitigen Willenserklärung. Die allg Vorschriften über Rechtsgeschäfte sind anwendbar. Erforderlich ist Geschäftsfähigkeit. Eine Anfechtung der Willenserklärung ist zulässig. Sie bezieht sich nur auf die Erklärung und nicht auf die Besitzaufgabe. Bei Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ist die Dereliktion gem § 134 nichtig. Der Wille zur Dereliktion muss erkennbar hervortreten und ergibt sich nicht zwingend aus der Aufgabe des Besitzes. Ob aus der Besitzaufgabe auf den Aufgabewillen geschlossen werden kann, hängt von den Umständen ab (vgl RGSt 57, 337; Faber JR 87, 313; Grziwotz MDR 08, 726; LG Ravensburg NJW 87, 3142 [LG Ravensburg 03.07.1987 - 3 S 121/87]; LG Bonn NJW 03, 673 [LG Bonn 25.06.2002 - 18 O 184/01]). Als weitere Voraussetzung erfordert § 959 als Publizitätsakt die tatsächliche Aufgabe des Besitzes. Erforderlich ist unmittelbarer Besitz des Aufgebenden. Der mittelbare Besitzer kann den Besitz nur dadurch aufgeben, dass er den unmittelbaren Besitzer zur Aufgabe des Besitzes auffordert. Die einseitige Aufgabe von Miteigentum ist nicht möglich, weil dadurch dem anderen Miteigentümer unfreiwillig der Werterhalt der Sache aufgebürdet wird (§ 748).
C. Einzelfälle.
Rn 3
Stellt ein Besitzer bewegliche Sachen für karitative Zwecke an einem zugänglichen Platz zur Sammlung zusammen, wird man darin eine Übereignung an den Betreiber der karitativen Sammlung sehen müssen, keine Dereliktion (MüKo/Quack Rz 6; Erman/Ebbing Rz 3). Wird die Aufgabe des Eigentums zu Gunsten einer bestimmten Person erklärt, so liegt darin eine Übereignung an diese Person, nicht eine Dereliktion (RGZ 83, 229; Erman/Ebbing Rz 3). Die Absicht, eine bewegliche Sache zu entsorgen oder sich ihr in sonstiger Weise zu entledigen, schließt eine Dereliktion nicht aus. An zum Abfall gegebenen beweglichen Sachen kann daher Eigentum begründet werden (Grziwotz MDR 08, 726). Anders ist dies, wenn der Besitzer erkennbar die Absicht hat, die endgültige Zerstörung oder Vernichtung der Sache zu betreiben (Fritsche MDR 62, 714). Wenn zB ein Künstler Entwürfe, die ihm missfallen, zur Entsorgung oder Vernichtung in den Abfall gibt, ist dies keine Dereliktion (Fall Gerhard Richter). Holt ein Dritter diese Entwürfe aus dem Abfall heraus, so begeht er Diebstahl. Dies ist ebenso bei der gewünschten Vernichtung von Dokumenten anzunehmen. Das Vergessen oder versehentliche Zurücklassen einer Sache enthält keine Eigentumsaufgabe. Durch den Eigentumsverzicht kann sich der bisherige Eigentümer nicht seiner Haftung aus § 1004 entziehen (BGH VersR 07, 1230). Die Entnahme von Lebensmitteln aus einem Müllcontainer ist Diebstahl (BVerfG NJW 20, 2953 = JZ 20, 906 m Anm Ogorek). Der Lebensmittelhändler gibt sein Eigentum an den Lebensmitteln nicht auf, wenn er wegen der Gefahr von Schimmelbildung oder Verschmutzung der Lebensmittel ihre Vernichtung bezweckt. Auch die Abgabe von Lebensmitteln an eine Tafel für Bedürftige ist keine Dereliktion, sondern eine Übereignung an den Betreiber der Tafel.