Rn 1
§ 990 beinhaltet für den bösgläubigen Besitzer sowohl eine vorverlagerte (§ 990 I) als auch eine verschärfte Haftung (§ 990 II) vom Erwerbszeitpunkt (I 1) bzw der Kenntniserlangung eines nicht bestehenden Besitzrechts an (I 2). Ein bösgläubiger Besitzer haftet schon ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt (dem Besitzerwerb gem §§ 854, 857). Die weitergehende Haftung gem II unterstreicht den gesetzgeberischen Willen, bösgläubigen Besitzern keine Privilegierung zukommen zu lassen.
I. Guter Glaube/Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis des fehlenden Besitzrechts.
Rn 2
Der § 990 setzt den fehlenden guten Glauben des Besitzers an ein bestehendes Besitzrecht, sei es als Eigen- oder Fremdbesitzer, geltend für jede Form von Besitz (vgl § 985 Rn 5 f) voraus. Dabei können die Vorgaben des § 932 II für den Eigentumserwerb entsprechend übernommen werden. Der Besitzer ist dann nicht in gutem Glauben hinsichtlich eines Besitzrechts beim Besitzerwerb, wenn er positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vom fehlenden Besitzrecht hat. Dabei genügt schon die Kenntnis bzw Unkenntnis bzgl der maßgeblichen Umstände im Zusammenhang mit der Begründung des Besitzes. Kenntnis liegt nach der Rspr (BGHZ 32, 76, 92; Ddorf VersR 00, 460) vor, ›wenn der Besitzer über den Mangel seines Rechts in einer Weise aufgeklärt worden ist, dass ein redlich Denkender, der vom Gedanken an den eigenen Vorteil nicht beeinflusst ist, sich der Überzeugung seiner Nichtberechtigung nicht verschließen würde‹.
Rn 3
Der Besitzer handelt grob fahrlässig, wenn er die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich großem Maße verletzt hat und dabei das unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGHZ 10, 14, 16). Maßgeblich ist immer eine Einzelfallbetrachtung: Darf ein Besitzer auch bei Kenntnis der Unwirksamkeit eines Kaufvertrages, zB im Hinblick auf § 125, noch mit dem Eigentumsübergang rechnen, so ist nicht per se von Bösgläubigkeit auszugehen (RG JW 1936, 2912; BGH NJW 77, 31 [BGH 28.05.1976 - III ZR 186/72]). Die Anforderungen an die Bejahung des fehlenden guten Glaubens sind damit sehr hoch. Nach dem BGH ist der erstmalige Besitzerwerb der Umwandlung von Fremd- zu Eigenbesitz, aufgrund der Veränderung der ähnlichen rechtlichen Parameter in Bezug auf den Besitz, gleichzustellen.
II. Zurechnungskriterien: Besitzer, Besitzdiener, Vertreter, Verwalter, Erbfall.
Rn 4
Erwirbt nicht der Besitzer unmittelbar den Besitz, so dass die Frage der Bösgläubigkeit direkt auf dessen Person hin geprüft werden könnte, so ist zu unterscheiden: Ist der Besitzdiener oder Besitzmittler gut-, der Besitzer selbst aber bösgläubig, so liegt ein Fall des § 990 I vor. Umgekehrt wendet die Rspr § 166 I analog an (BGHZ 135, 202). Besonderheiten gelten beim Besitzerwerb durch Minderjährige: Erwirbt der gesetzliche Vertreter für den Minderjährigen den Besitz oder erlangt er später Kenntnis von der Nichtberechtigung, dann gilt ebenso § 166 I analog. Erwirbt hingegen der Minderjährige unmittelbar den Besitz, so ist § 828 anzuwenden und somit gem III nach der Einsichtsfähigkeit zu fragen. Bei Nachlass- oder Insolvenzsachen ist auf das Wissen des Nachlass- bzw Insolvenzverwalters oder des Testamentsvollstreckers abzustellen. Handeln Organe oder Vertreter bei juristischen Personen, etc, so kommt es auf den guten Glauben der die Sache in ihren Besitz nehmenden natürlichen Person an. § 31 ist dabei analog anwendbar. Allerdings haften die Organe etc nicht unmittelbar gem § 990, da sie selbst nicht Besitz für sich begründen. Insoweit kommt eine eigenständige Deliktshaftung in Betracht (BGHZ 56, 73). Für Rechtsnachfolger, insb Erben, ist § 858 II 2 einschlägig: Danach haftet der neue Besitzer nicht nur für eigene, sondern auch für die frühere Bösgläubigkeit des Rechtsvorgängers. Andernfalls könnte durch das Ausscheiden(-lassen) des Rechtsvorgängers eine frühere Bösgläubigkeit korrigiert werden und somit eine Umgehungsmöglichkeit bei Bösgläubigkeit entstehen.