I. Ausgangspunkte.
Rn 1
Entscheidende Grundlage der Entwicklung eines Bürgerlichen Rechts war das Römische Recht (insb corpus iuris civilis von 529/534 nChr). Ab dem 11./12. Jahrhundert kam es zur Rezeption des Römischen Rechts und anschließend über Jahrhunderte zur wissenschaftlichen Bearbeitung (Glossatoren, Postglossatoren). Trotz dieser Basis im Gemeinen Recht führte die Entwicklung zu einer außerordentlich starken Rechtszersplitterung schon in der frühen Neuzeit, insb aber auch seit Untergang des Alten Reiches (1806).
Rn 2
Neben dem Gemeinen Recht bestimmten wichtige landesrechtliche Kodifikationen (Preußisches ALR von 1793, Badisches Landrecht von 1809, Bayerischer Codex von 1756, Sächsisches BGB von 1865 sowie der französische Code Civile im Rheinland) die Praxis. Die Idee der Rechtsvereinheitlichung wurde allgemeinpolitisch von der Nationalstaatsidee (s.u. Rn 5) und in Deutschland speziell durch die Reichsgründung 1870/71 stark gefördert (s.u. Rn 5, Rn 6).
Rn 3
Hinzu kam eine ökonomische Entwicklung des 19. Jahrhunderts im Übergang von einer Agrar- zur Industriegesellschaft, die zusammen mit massivem Bevölkerungswachstum Fortschritte in der einheitlichen Rechtsentwicklung notwendig erscheinen ließ (Entwicklung der Zollvereine nach 1815, insb Allgemeiner Zollverein 1833, Allgemeine Deutsche Wechselordnung 1848, ADHGB 1861).
Rn 4
Einen breiten Überblick über die Entstehung moderner Privatrechtsordnungen in Europa gibt Hamza, Entstehung und Entwicklung der modernen Privatrechtsordnungen und die römischrechtliche Tradition, 2009.
II. Kodifikationsprobleme.
Rn 5
Im 19. Jahrhundert bildete sich überall in Europa im Zusammenhang mit der Nationalstaatsidee auch der Grundgedanke der Kodifizierung des Rechts sehr stark aus. Die Kodifikationsidee enthielt also sowohl politische Aspekte als auch den Wunsch nach einem einheitlichen Rechtswissenschaftlichen System. Auch in Deutschland wurde bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Schaffung einer zivilrechtlichen Kodifikation gefordert (Thibaut Über die Notwendigkeit eines allg Bürgerlichen Rechts für Deutschland, 1814). Der berühmte Widerspruch von Friedrich Carl von Savigny (›Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft‹, 1814) verzögerte diese Entwicklung, ohne sie letztlich aufhalten zu können. Die im politischen Bereich vielfach beklagte späte deutsche nationalstaatliche Entwicklung führte so im Bereich des Privatrechts am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer ausgereiften Kodifikation, die in ihren Grundlagen noch heute Geltung besitzt und die Vorbild für vielfältige ausländische Entwicklungen geworden ist (s.u. Rn 12).
III. Äußerer Gang der Entwicklung.
Rn 6
Unmittelbar nach der Reichsgründung 1870/71 begann der Prozess der Schaffung des BGB. 1873 wurde zunächst die Gesetzgebungskompetenz des Reiches geschaffen (lex Miquel-Lasker). Über die Einsetzung einer Vorkommission und einer 1. Kommission im Jahre 1874 führte der Weg zum 1. Entwurf des Jahres 1888, der zusammen mit den Motiven veröffentlicht wurde. Die vielfältige und scharfe Kritik an diesem 1. Entwurf (insb von Gierke, Menger) führte 1890 zur Einsetzung einer 2. Kommission, deren Arbeit 1895 mit einem 2. Entwurf (zusammen mit den Protokollen) endete. Schließlich wurde dieser Entwurf 1896 im Reichstag eingebracht (sog 3. Entwurf) und nach längeren Verhandlungen am 1.7.96 verabschiedet. Das BGB ist am 1.1.00 in Kraft getreten.
IV. Fortentwicklung.
1. Die Zeit von 1900 bis 1945.
Rn 7
Während das BGB im Kaiserreich nahezu unverändert blieb, ergaben sich im Zuge des verlorenen 1. Weltkriegs und in der Zeit der Weimarer Republik eine Reihe von Änderungen (insgesamt 15 Novellierungen). Auch die Zeit des Nationalsozialismus führte rein äußerlich nicht zu grundlegenden Veränderungen des BGB. Geplant war, das Gesamtsystem des Bürgerlichen Rechts zu beseitigen und durch ein Volksgesetzbuch zu ersetzen, das jedoch nie in Kraft getreten ist. Die massiven Veränderungen des Bürgerlichen Rechts in der nationalsozialistischen Zeit vollzogen sich weitgehend im ideologischen Rechtsdenken und in der Rspr (vgl Rüthers Die unbegrenzte Auslegung, Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 1968). Daneben ist die nationalsozialistische Sondergesetzgebung zu erwähnen (EheG, TestG, VerschG, BlutschutzG, ReichsbürgerG).
2. Die Zeit von 1945 bis 2001.
Rn 8
Nach 1945 wurden zunächst durch Kontrollratsgesetze alle nationalsozialistischen Rechtsregeln beseitigt. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes wurde ab 1949 das BGB in seiner Fassung vor 1933 wiederum zur Grundlage des Privatrechts. In der Folgezeit wurde das BGB vielfach novelliert (135 Novellen zwischen 1949 und 2000). Hervorzuheben sind das GleichberG 1957, das FamRÄndG 1961, die vielfältigen Mietrechtsgesetze, das NichtehelichenG von 1969, das 1. EhereformG von 1976, das AdoptionsG von 1976, das G zur Neuregelung der elterlichen Sorge von 1979, das BetreuungsG von 1990, die Änderungen des Namensrechts, das KindschaftsreformG 1997 sowie als vorläufiger Höhepunkt der Änderungen das SchuldrechtsmodernisierungsG 2001 (s.u. Rn 9).
3. Die Zeit von 2002 bis heute.
Rn 9
Die stärksten Eingriffe in das Gesamtsystem des BGB seit seinem Inkrafttreten...