Rn 20
Die dem BGB zu Grunde liegende Privatautonomie (s.o. Rn 18) kann nicht schrankenlos gewährt werden. Wo die Erwartung des BGB versagt, dass privatrechtliche Selbstbestimmung zu einem Ausgleich entgegengesetzter Interessen führen werde, dort muss auf normativem Wege der Schutz des Schwächeren abgesichert werden. Angesichts des im GG verankerten Sozialstaatsprinzips (Art 20 I GG) ist auch dies eine Selbstverständlichkeit. Freilich darf Sozial- und Verbraucherschutz nur dort eingreifen, wo anderenfalls ein Mindestmaß an Vertragsgerechtigkeit verloren geht. Daher ist es richtig, wenn das Privatrecht dem Minderjährigen starken Schutz gewährt, wenn im Arbeitsrecht, im Mietrecht und im Bereich des Verbraucherschutzes typische Sozialschutzelemente vorhanden sind und wenn darüber hinaus durch Generalklauseln sichergestellt ist, dass extreme Übervorteilung einzelner Rechtssubjekte vermieden wird (vgl §§ 134, 138, 226, 826). Dagegen ist eine Übersteigerung des Verbraucherschutzgedankens ebenso gefährlich wie der Versuch, jedes privatrechtliche Ungleichgewicht durch die Rspr zu verhindern. Es bleibt jedermann unbenommen, auch risikoreiche Geschäfte abzuschließen und sich zu Leistungen zu verpflichten, die ihn völlig überfordern (BGHZ 137, 329, 335; 120, 272, 274; 106, 269, 272). Nicht überzeugen kann deshalb die Rspr im Bürgschaftsrecht, wonach sich jeder Volljährige, der sehenden Auges ein Risikogeschäft wie die Bürgschaft abgeschlossen hat, dann ohne weiteres vom Vertrag lösen kann, wenn er einkommens- und vermögenslos ist (vgl § 765 Rn 21 ff). Zwar hat der BGH den Schutz des Bürgen neben der Vermögenslosigkeit auch von einem strukturellen Ungleichgewicht abhängig gemacht, er hat dies im Wege einer tatsächlichen Vermutung aber bereits dann bejaht, wenn der Bürge in einer engen familienrechtlichen Bindung zum Hauptschuldner steht. Die Zielrichtung des Schutzgedankens dieser Rspr, eine dauerhafte Überschuldung einzelner Personen zu vermeiden, muss im Vollstreckungs- und Insolvenzrecht Beachtung finden. Daher hat der Gesetzgeber zu Recht im Jahre 1999 in der Insolvenzordnung die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung statuiert. Diese gesetzgeberische Entscheidung müsste an sich zu einer Veränderung der Bürgschaftsrspr führen (dagegen BGH NZI 09, 609, 611). Dem hier vertretenen Grundgedanken von Privatautonomie als Basis des Zivilrechts und dem Sozial- sowie Verbraucherschutz als Sonderregel steht eine andere Auffassung diametral ggü, wonach Vertragsfreiheit den Schutz des angemessenen Vertrags bedeutet (Thüsing). IÜ enthielt bereits das ursprüngliche BGB wichtige soziale Elemente und gewährte keineswegs eine schrankenlose Freiheit. Nicht einmal der oft zitierte § 903 gewährt ein schrankenloses Eigentumsrecht (vgl §§ 903, 905, 906, 909 ff). Es ist falsch, dem BGB generell soziale Kälte zu unterstellen. Dazu Repgen Die soziale Aufgabe des Privatrechts, 01; Hofer Freiheit ohne Grenzen, 01; HKK/Rückert, Bd 1 Vor § 1 Rz 31 ff; Achilles JZ 18, 953.