Prof. Dr. Moritz Brinkmann
Rn 17
Die negative Vertragsfreiheit wird durch den Kontrahierungszwang eingeschränkt (s.a. § 311 Rn 7 ff). Dieser kann sich aus Gesetz (Rn 18 ff) oder Rechtsgeschäft (Einräumung einer Option oder Vorvertrag, s Rn 27 ff) ergeben. In diesen Fällen besteht für den Adressaten des Gebots die Pflicht, den ihm angetragenen Vertrag abzuschließen (Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 14 ff). Eine Verzögerung der Vertragsannahme führt zur Schadensersatzpflicht aus § 280 I. Auch in den Fällen des Kontrahierungszwangs reicht bloßes Schweigen des Verpflichteten auf das Angebot grds nicht aus (KG 11 U 15/07, GuT 08, 52 [KG Berlin 19.12.2007 - 11 U 15/07]; Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 30; Erman/Armbrüster Vor § 145 Rz 31; Grüneberg/Ellenberger Einf v § 145 Rz 11). Anderes gilt nur bei § 5 III PflVersG und unter den bei §§ 147, 148 Rz 4 dargestellten Voraussetzungen. Häufig wird allerdings der Zugang der Annahme nach § 151 1 verzichtbar sein. Die Pflicht zum Vertragsabschluss kann auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden (vgl Karlsr GRUR 80, 811; BeckOK/H.-W. Eckert § 145 Rz 13). Hinsichtlich bereits geschlossener Verträge wandelt sich das Kontrahierungsgebot in ein Kündigungsverbot (BGHZ 107, 273, 279 = NJW 89, 3011; Saarbr NJW-RR 08, 1632 Kontenkündigung bei extremer Partei). Zum Kontrahierungszwang nach dem AGG s § 21 AGG Rn 2.
a) Unmittelbarer Kontrahierungszwang.
Rn 18
In den Fällen des unmittelbaren Kontrahierungszwangs ergibt sich dieser direkt aus einer gesetzlichen Vorschrift: Verkehrsrecht § 10 AEG; §§ 22, 47 IV PBefG; 21 II 3 LuftVG. Telekommunikationsrecht § 13 II PostG; §§ 16, 19 TKG. Energierecht §§ 18, 36 EnWG 2005; § 7 I EEG 2017; § 4 II KWKG 2002. Versicherungsrecht § 5 II, IV PflVG; § 199 II VVG. Sozialrecht §§ 23, 110 I Nr 1 SGB XI. Berufsrecht §§ 48, 49 BRAO; § 15 I BNotO. Gewerblicher Rechtsschutz § 42a UrhG; §§ 13, 24 PatG; § 20 GebrMG. Kartellrecht §§ 19 IV Nr 4). Neben diesen bundesrechtlichen Vorschriften sehen auch einige landesrechtliche Vorschriften Abschlussgebote vor.
b) Mittelbarer Kontrahierungszwang.
Rn 19
Außerhalb dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung wird ein (mittelbarer) Kontrahierungszwang aus § 826 hergeleitet. Die gem § 249 herzustellende Naturalrestitution vollzieht sich nach hM in Form des Vertragsabschlusses zu angemessenen und gleichen Bedingungen (BGHZ 107, 279; Kobl NJW-RR 91, 946; RGZ 133, 388). Allerdings soll auch ein nur objektiver Verstoß ausreichen (so KG WuW/E 2212), der Anspruch auf Vertragsschluss wäre dann keine Folge eines Schadensersatzanspruchs, sondern ergibt sich direkt aus einem quasinegatorischen Unterlassungsanspruch (BeckOK/H.-W. Eckert § 145 Rz 16; Grüneberg/Ellenberger Einf v § 145 Rz 9; NK-BGB/Rademacher/G. Schulze Vor §§ 145–157 Rz 11; Erman/Armbrüster Vor § 145 Rz 29).
aa) Kartellrecht, Presse.
Rn 20
Für den Bereich des Verkehrs zwischen Unternehmen ergibt sich aus §§ 19, 20 GWB für marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen ein Diskriminierungsverbot. § 19 GWB verbietet es marktbeherrschenden Unternehmen, andere Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, zu behindern oder ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln (BGH NJW-RR 03, 1348 [BGH 24.06.2003 - KZR 32/01]). § 20 II GWB dehnt dieses Verbot auf marktstarke Unternehmen aus, soweit kleinere und mittlere Unternehmen von einer Ware oder Dienstleistung in der Weise abhängig sind, dass zumutbare Ausweichmöglichkeiten nicht bestehen.
Rn 21
Die Presse unterliegt hinsichtlich der Veröffentlichung politischer Werbung keinem Abschlusszwang (für Presseunternehmen BVerfG NJW 76, 1627 [BVerfG 28.04.1976 - 1 BvL 71/73]). Hinsichtlich nicht-politischer Anzeigen gelten die unter Rn 20, Rn 22 dargestellten Voraussetzungen (Karlsr NJW 88, 341; Schlesw NJW 77, 1886 [OLG Schleswig 11.01.1977 - 6 U 45/76]), wobei allerdings die redaktionellen und wirtschaftlichen Interessen des Herausgebers zu berücksichtigen sind. Private und öffentlich-rechtliche Rundfunkunternehmen können aufgrund landesrechtlicher Vorschriften zur Ausstrahlung von Wahlwerbung verpflichtet sein. Vgl zB § 22 I NMedienG, § 30 II PrivatrundfunkG Hessen.
bb) Verbrauchergeschäfte.
Rn 22
Außerhalb des Geschäftsverkehrs zwischen Unternehmen hat schon das RG einen Kontrahierungszwang unter den Voraussetzungen von § 826 angenommen (RGZ 148, 334; 133, 390). Danach besteht dann eine Pflicht zum Vertragsabschluss, wenn die Verweigerung eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung darstellen würde, was insb bei Monopolbetrieben und bei lebensnotwendigen Leistungen zu bejahen ist. Dem ist der BGH (NJW 80, 186 [BGH 26.06.1979 - KZR 25/78]) im Grundsatz gefolgt. Im Schrifttum wird die Anknüpfung an § 826 und die Beschränkung auf Monopolbetriebe und lebenswichtige Leistungen zunehmend als zu eng empfunden. Befürwortet wird teilweise eine Gesamtanalogie zu den unter Rn 18 genannten Vorschriften (Larenz SchuldR § 4 Ia; Grüneberg/Ellenberger Einf v § 145 Rz 10), wobei die Voraussetzungen iE streitig sind. Jedenfalls genügt es zur Annahme eines Kontrahierungszwanges, wenn ein Unternehmer lebenswichtige Güter öffen...