Rn 1
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, häufig auch als faktische Lebensgemeinschaft bezeichnet (vgl Grziwotz FamRZ 09, 750; Staud/Löhnig Anh zu §§ 1297 ff Rz 11 ff) wird von der Rspr definiert als Beziehung zweier Menschen, die auf unbestimmte Dauer angelegt ist, sich durch innere Bindungen der Partner zueinander auszeichnet und neben sich keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt (BGH FamRZ 93, 533; BSG FamRZ 93, 1315; BVerfG FamRZ 93, 164; FamRZ 04, 1950). Die Bindungen der Partner zueinander müssen so eng sein, dass sie auch in den Not- und Wechselfällen des Lebens füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen (BVerfG FamRZ 93, 163; Köln VersR 13, 378). Sie wird deshalb auch als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bezeichnet (Grziwotz FamRZ 94, 1217). Sie weist zwar weitgehende Ähnlichkeit mit der Ehe auf, unterscheidet sich von dieser aber durch den Mangel an Form (Ddorf FamRZ 81, 1077). Überdies ist nur die Ehe die rechtlich verfasste Paarbeziehung, in der die gegenseitige Solidarität nicht nur faktisch gelebt wird, sondern auch eingeklagt werden kann (BVerfG FamRZ 07, 529, 531). Ist einer der Partner noch anderweitig verheiratet, spricht das nicht zwingend gegen die Annahme einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Karlsr NJW-RR 23, 944). Eine Unterscheidung zwischen heterosexuellen und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist entbehrlich. Die Rspr zur vermögensrechtlichen Auseinandersetzung nach Trennung oder Tod der Partner hat obendrein zu einer Annäherung an die Ehe und weitgehenden Verrechtlichung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft geführt. Das Ehegattensplitting findet auf sie allerdings keine Anwendung (BFH FamRZ 17, 1356).
Rn 2
Im Sozialrecht (zB §§ 7 III Nr 3b SGB II, 20 SGB XII) wird der Begriff der nichtehelichen Lebensgemeinschaft weiter gefasst, um auf diese Weise eine Benachteiligung der Ehe ggü anderen Formen des Zusammenlebens im Hinblick auf die Gewährung staatlicher Leistungen zu verhindern. Hier reicht iA das Bestehen einer reinen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft (BSG FamRZ 88, 1261; BVerwG FamRZ 91, 327) aus, um die gesetzlich bestimmten Folgen nichtehelichen Zusammenlebens auszulösen.
Rn 3
Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist kein Verlöbnis, da es ihr an dem für § 1297 erforderlichen Eheversprechen fehlt. Andererseits schließen Verlöbnis und nichteheliche Lebensgemeinschaft sich nicht aus, wenn die zusammenlebenden Partner die spätere Eheschließung vereinbart haben (Staud/Löhnig Anh zu § 1297 Rz 40). Im Fall der Trennung konkurrieren dann ggf die von der Rspr entwickelten Grundsätze zur Rückabwicklung von Zuwendungen mit Ansprüchen aus § 1301 (vgl Grziwotz FamRZ 99, 413).
Rn 4
Häufig schwierig zu ermitteln ist der Beginn des nichtehelichen Zusammenlebens, weil es anders als in der Ehe, keinen nach außen sichtbaren Akt des Entstehens gibt. Die äußeren Formen – Begründung einer gemeinsamen Wohnung, gemeinsames Wirtschaften – schaffen zwar Indizien, lassen allein aber noch keinen sicheren Schluss auf den maßgeblichen Willen der Partner zu einer auf Dauer angelegten und durch innere Bindungen ausgezeichneten Partnerschaft zu. Gleichwohl wird es idR zulässig sein, von äußeren Umständen auf die innere Einstellung der Partner zueinander zu schließen (BVerfG FamRZ 93, 164; LSG BaWü NJW 06, 2349; LSG NRW NJW 05, 2253), so dem gemeinsamen Erwerb einer Immobilie (Saarbr NJW-RR 09, 1449 [OLG Saarbrücken 18.02.2009 - 9 WF 19/09]) oder der Erziehung eines gemeinsamen Kindes mit Verknüpfung wirtschaftlicher und beruflicher Verhältnisse (Karlsr NJW-RR 23, 944 [OLG Karlsruhe 07.02.2023 - 25 U 46/21]). Sinnvoll erscheint es, in Anlehnung an § 7 IIIa SGB XII regelmäßig vom Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft auszugehen, wenn die Partner alternativ länger als 1 Jahr oder mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
Rn 5
Da aber auch ein kurzes Zusammenleben nicht zwingend gegen eine eheähnliche Bindung spricht, ist stets eine Einzelfallprüfung geboten. Auch nach nur kurzem Zusammenleben kann uU eine eheähnliche Bindung angenommen werden, wenn der maßgebliche Wille auf eine auf Dauer angelegte durch innere Bindungen ausgezeichnete Partnerschaft gerichtet war.