Prof. Dr. Martin Schöpflin
I. Umfang.
Rn 5
Die Rechtsfähigkeit der juristischen Person ist umfassend, betrifft also nicht nur die Vermögensfähigkeit, so dass die juristische Person zB auch Träger von einzelnen Persönlichkeitsrechten wie des Namensrechts sein kann und auch als Inhaberin von Grundrechten in Betracht kommt (Art 19 III GG). Sie ist aber nicht fähig, Subjekt von Rechtsbeziehungen zu sein, die nur zwischen natürlichen Personen möglich sind, zB von familienrechtlichen Beziehungen. Die juristische Person kann zwar nicht vererben, aber Erbin oder Testamentsvollstreckerin sein. Das alles gilt auch für die rechtsfähige Personengesellschaft.
II. ultra-vires-Lehre.
Rn 6
Die ultra-vires-Lehre, nach der nicht vom Gesellschaftszweck gedeckte Akte von der Rechtsfähigkeit nicht umfasst sind, gilt im deutschen Recht für juristische Personen des Privatrechts nicht. Im Vereinsrecht kann stattdessen die Vertretungsmacht des Vorstands eingeschränkt werden (§ 26 I 3), was bei anderen juristischen Personen aber ausscheidet (s §§ 82 I AktG, 37 II GmbHG, 27 II GenG).
III. Handlungs- und Deliktsfähigkeit.
Rn 7
Die juristische Person handelt durch ihre Organe, die mit den Organwaltern besetzt sind – der Verein handelt also zB durch seinen Vorstand, der mit den Vorstandsmitgliedern besetzt ist. Diese Sichtweise entspricht der Organtheorie v Gierkes, die sich gegen Savignys Vertretertheorie durchgesetzt hat, nach der die juristische Person einer unmündigen natürlichen Person entspricht, die im Rechtsverkehr vertreten werden muss (s. Beuthien NJW 99, 1142). Das rechtswidrige, insbes das deliktische Verhalten der Organe wird der juristischen Person nach § 31 zugerechnet.
IV. Durchgriff.
1. Allgemeines.
Rn 8
Es gilt das Trennungsprinzip, dh die juristische Person ist ggü ihren Mitgliedern verselbstständigt, die Vermögenssphären sind streng getrennt. Soweit kein besonderer Haftungsgrund vorliegt (zB Übernahme einer Bürgschaft, Delikt oder § 278 I AktG) haften die Mitglieder der juristischen Person nicht; der Gläubiger kann also nicht direkt auf die Mitglieder ›durchgreifen‹. Hinsichtlich der Einzelheiten des Durchgriffs, der nicht nur bei der Haftung, sondern etwa auch bei der Zurechnung eine Rolle spielt, muss auf die Spezialliteratur verwiesen werden (Jung Unternehmergesellschafter, passim; dazu Schöpflin ZHR 169 (05), 98; BeckOK/Schöpflin § 21 Rz 17 ff). Der Durchgriff muss restriktiv gehandhabt werden, um das Rechtsinstitut der juristischen Person nicht auszuhöhlen. Die Rspr bejaht einen Durchgriff deshalb nur dann, wenn das Berufen auf das Trennungsprinzip einen Rechtsmissbrauch darstellt (BGHZ 78, 313, 333). Auch beim eV kommt Durchgriffshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs grds in Betracht. Bloßes Nichteinschreiten gegen strukturelle Fehlentwicklungen des eV oder gegen erhebliche wirtschaftliche Betätigungen, die das Nebenzweckprivileg überschreiten, führt aber nicht zur persönlichen Haftung der Vereinsmitglieder. Denn das Gesetz sieht als ausreichende, der Durchgriffshaftung vorgehende Sanktion das Amtslöschungsverfahren (§ 395 FamFG) vor (BGHZ 175, 12).
2. Tatbestände.
Rn 9
Das Trennungsprinzip versagt bei Vermögensvermischung. Deshalb hat die Rspr den Durchgriff auf das Privatvermögen der Mitglieder gestattet, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf andere Weise verschleiert worden ist (BGH NJW 06, 1344, 1346 [BGH 14.11.2005 - II ZR 178/03]), wobei das bloße Fehlen doppelter Buchführung nicht genügt. Die Existenzvernichtungshaftung der Mitglieder hat der BGH bislang nur für die GmbH begründet (BGHZ 173, 246 – Trihotel; 176, 204 – Gamma). Sie ist aber allg auf die juristische Person zu übertragen. Die Mitglieder haften dann, wenn sie pflichtwidrig bei Dispositionen über das Vermögen der juristischen Person nicht angemessen Rücksicht nehmen auf deren Eigeninteresse, in ihrer Existenz nicht gefährdet zu werden und fähig zu bleiben, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (BGH NJW 01, 3622 [BGH 17.09.2001 - II ZR 178/99]; 02, 1803, 3024 [BGH 25.02.2002 - II ZR 196/00]). Sie haben persönlich einzustehen, wenn sie der Gesellschaft sittenwidrig das zur Tilgung ihrer Schulden erforderliche Vermögen entziehen und damit eine Insolvenz verursachen (BGH NZG 12, 667). Der BGH sieht die Existenzvernichtungshaftung als besondere Fallgruppe des § 826 an und versteht sie als Innenhaftung der Gesellschafter ggü der Gesellschaft (BGHZ 173, 246; 176, 204). Außerhalb der Insolvenz können die Gläubiger den Anspruch der GmbH gegen ihre Gesellschafter pfänden (BGH NJW 07, 2689, 2693). Weitere Fallgruppen der Durchgriffshaftung sind der Rechtsschein persönlicher Haftung (BGHZ 22, 226, 230), die unlautere Nutzung der juristischen Person (BGHZ 54, 222; 68, 312) sowie die Fälle jenseits der Existenzvernichtungshaftung, in denen § 826 eingreift, nicht dagegen bloße Unterkapitalisierung (BAG NJW 99, 740, 741; BGHZ 176, 204 lässt aber Anwendbarkeit des § 826 offen).