Prof. Dr. Moritz Brinkmann
Rn 12
Der Vertrag hat sich im 19. Jahrhundert zu der zentralen Rechtsinstitution entwickelt. Er ist als Instrument der eigenverantwortlichen Steuerung der Rechts- und Lebensverhältnisse der Rechtssubjekte schlechthin konstitutiv für eine freiheitliche Rechtsordnung.
I. Begriff und Bedeutung.
Rn 13
Die Vertragsfreiheit ist daher der wichtigste Unterfall der Privatautonomie. Sie ist als Teil des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Art 2 I iVm 1 I GG, auch verfassungsrechtlich gewährleistet (BVerfGE 8, 328), jedoch nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung. Als formales Prinzip garantiert die Vertragsfreiheit dem Einzelnen die grds Freiheit, über das Ob und das Mit-Wem (Abschlussfreiheit), das Worüber (Inhaltsfreiheit) und das Wie (Formfreiheit, s § 125 Rn 1) einer vertraglichen Bindung autonom zu entscheiden. Diese Freiheitsgarantie birgt va in Zeiten des rechtsgeschäftlichen Massenverkehrs die Gefahr, dass rechtsgeschäftliche Selbstbindung nicht aufgrund einer privatautonomen Entscheidung eingegangen wird, sondern Ausdruck von Fremdbestimmung ist. Die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie setzt gemeinsam mit dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 I, 28 I GG) insofern in Fällen struktureller Unterlegenheit aufgrund von wirtschaftlichem oder intellektuellem Übergewicht des anderen Vertragsteils in typisierbaren Fallgestaltungen der Vertragsfreiheit Schranken (BVerfGE 89, 214, 232 = NJW 94, 38 [BVerfG 19.10.1993 - 1 BvR 567/89]; BVerfG JZ 06, 968 [BVerfG 06.12.2005 - 1 BvR 1905/02]). In diesen Fällen wird die Vertragsfreiheit durch materielle Aspekte zugunsten der Vertragsgerechtigkeit eingeschränkt. Der gebotene Schutz vor Fremdbestimmung darf aber nicht zu einer allg vertraglichen Inhaltskontrolle durch die Gerichte unter dem Banner der Vertragsgerechtigkeit führen. Denn einer marktwirtschaftlichen Ordnung liegt die Vermutung zu Grunde, dass jeder unbeschränkt Geschäftsfähige in der Lage ist, eigenverantwortlich über seine rechtsgeschäftlichen Bindungen zu entscheiden. Wo diese Vermutung freilich zur Fiktion degeneriert, fehlt es an einer Funktionsbedingung (Singer JZ 1995, 1133, 1137) für die Gewährung von Privatautonomie, sodass ein korrigierendes Einschreiten durch die Zivilrechtsordnung geboten ist.
II. Abschlussfreiheit.
Rn 14
Die Abschlussfreiheit gewährleistet die freie Entscheidung des Einzelnen darüber, ob und mit wem er eine vertragliche Bindung eingeht. Im Grundsatz kann niemand gezwungen werden, sich ggü einer bestimmten Person vertraglich zu binden.
1. Reichweite der Abschlussfreiheit.
Rn 15
Die so beschriebene negative Abschlussfreiheit setzt voraus, dass die Rechtsordnung einen zwischen zwei Parteien geschlossenen Vertrag als wirksam anerkennt (positive Abschlussfreiheit, Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 13). Im engsten persönlichen Freiheitsbereich versagt das Recht allerdings diese Anerkennung, da diese Sphäre einer (vertraglichen) Selbstbindung nicht zugänglich ist. Daher kann etwa nicht wirksam auf das Recht verzichtet werden, Vaterschaftsanfechtungsklage zu erheben (BGHZ 87, 169, 174 = NJW 83, 2073; BGHZ 129, 297, 301 = NJW 95, 2028, 2030). Zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit einer Verabredung über die Einnahme empfängnisverhütender Mittel BGHZ 97, 372, 378 = NJW 86, 2043; Medicus/Petersen BürgR Rz 372a.
Rn 16
Grds umfasst die Abschlussfreiheit auch die Möglichkeit, sich seiner Freiheit, Verträge zu schließen, (partiell) zu entäußern. In dem Sinn, dass man sich vertraglich zu einem Vertragsabschluss verpflichten kann, ist dies unproblematisch, wie schon das Beispiel des Vorvertrags zeigt (Rn 27). Auch die vertragliche Verpflichtung, nicht mit einem Dritten zu kontrahieren, ist wirksam, führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des abredewidrig geschlossenen Vertrages, sondern selbst im Fall von vertraglichen Verfügungsverboten gem § 137 lediglich zu Schadensersatzansprüchen. Umstr ist die Beurteilung von Vereinbarungen, mit denen sich die Parteien verpflichten, in Zukunft keine vertragliche Bindung miteinander einzugehen (Wagner von Papp AcP 205, 342 ff). Spricht man solchen Abreden Wirksamkeit zu, so bewirken sie für die Folgezeit einen partiellen Verlust der positiven Abschlussfreiheit. Spricht man sich hingegen für die Unwirksamkeit oder freie Aufhebbarkeit aus, so negiert man die positive Abschlussfreiheit im Ausgangszeitpunkt. Relevant wird dieses Freiheitsparadoxon unter anderem bei der Frage der Wirksamkeit von Eigensperren in Spielbanken. Diese Eigensperren werden von der hM als Rechtsgeschäfte gedeutet, mit denen die Spielbank eine Pflicht übernimmt, künftiges Spielen des gesperrten Spielers zu unterbinden. Entgegen dieser Verpflichtung geschlossene Spielverträge sind jedoch nicht unwirksam, es entsteht lediglich ein Schadensersatzanspruch des Spielers aus § 280 I hinsichtlich etwaiger Verluste (BGHZ 174, 255 = NJW 08, 840; BGHZ 165, 267 = NJW 06, 362 = JZ 06, 468 m Anm Wagner-von Papp; aA Schulze FS Jayme, 1577). Das Problem der Selbstbeschränkung der Privatautonomie stellt sich in ähnlicher Weise bei rechtsgeschäftlichen Absprachen über die Form...