Rn 16
Das deutsche intertemporale Schuldrecht folgt dem allgemeinen Grundsatz, dass neue Vorschriften nur auf solche Rechtsverhältnisse anzuwenden sind, die nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung entstanden sind (Staud/Löwisch [2003] Art 229 § 5 Rz 1). Dieser Grundsatz hat bereits 1896 und späterhin in vielen weiteren Vorschriften seinen Niederschlag gefunden (s nur Art 170, 232 § 1, 229 § 5 1 EGBGB). Hinter ihm stehen die verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Rückwirkung von Gesetzen (BVerfGE 13, 261, 271; BVerfGE 72, 302; BGHZ 68, 113, 116). Erfasst wird das Schuldverhältnis als Ganzes (iwS), nicht etwa nur die einzelnen aus diesem fließenden Verpflichtungen (Staud/Löwisch [2016] Art 229 § 5 Rz 7f). Der Grundsatz findet insbes dann Anwendung, wenn der Gesetzgeber keine eigenständige Übergangsvorschrift erlassen hat (s MüKo/Krüger [5. Aufl] Art 170 Rz 3 [Analogie zu Art 170 EGBGB]). Praktische Relevanz hat dies insbes für das Gesetz zur Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24.7.10, BGBl 2010 I 977, für welches daher die allgemeinen Regeln gelten. Wegen der Änderung des territorialen Anwendungsbereichs von Normen, die sich auf ›Mitgliedstaaten‹ beziehen, führt auch der BREXIT zu Rechtsänderungen, die sich nach den allg Regeln richten, soweit keine spezialgesetzlichen Regelungen bestehen und Unionsrecht nicht entgegensteht (s ausf Hirte/Schmidt-Kessel in Kramme/Baldus/Schmidt-Kessel, § 28 Rz 34 ff). Die Mehrzahl geschriebener übergangsrechtlicher Vorschriften behandelt Abweichungen vom allgemeinen Grundsatz. Die bedeutsamste Gruppe von Abweichungen bilden die Dauerschuldverhältnisse (dazu Rn 22–27).
Rn 17
Schuldrechtliche Übergangsvorschriften jüngeren Datums finden sich va in Art 229 EGBGB. Zu Übergangsvorschriften betreffend die übrigen Bücher des BGB s Einleitung Rn 22, zu Art 229 § 6 EGBGB Vor § 194 Rn 1 ff (für das Verjährungsrecht), sowie Heß Intertemporales Privatrecht. Zu den älteren Übergangsregeln s Art 153–218 EGBGB für die Einführung des BGB (die Komm in Staud), für jüngere Änderungen Art 219–228 EGBGB (die Komm in Staud) und für das Übergangsrecht aus Anlass der Wiedervereinigung Art 230–237 (die Komm in Staud sowie Grüneberg). Zur Abgrenzung der verschiedenen intertemporalen Normen bedarf es – wie beim internationalen Privatrecht – der Qualifikation der betreffenden Rechtsnorm respectivefrage (Heß Intertemporales Privatrecht S 325; vgl Art 3 EGBGB Rz 34). Wegen des systematischen Bruchs zwischen Buch 3 und Buch 4 des BGB und der darauf folgenden Überlappung der beiden letzten Bücher mit dem Schuld- und dem Sachenrecht werden die Grenzen hier intertemporal häufig nicht sauber gezogen; so gilt etwa Art 229 § 5 EGBGB über das Schuldrecht hinaus auch für erb- und familienrechtliche Schuldverhältnisse. Darüber hinaus kann sich die Bedeutung schuldrechtlicher Übergangsvorschriften über das Schuldrecht hinaus erstrecken, wenn Verweisungen auf dieses – etwa § 62 S 2 VwVfG – idS dynamisch zu verstehen sind, dass sie Übergangsrecht mit einschließen (Staud/Löwisch [2016] Art 229 § 5 Rz 6).
Rn 18
Bei Konkurrenz mehrerer intertemporaler Bestimmungen gelten die allgemeinen Regeln, also va der Vorrang des späteren Gesetzes (Schmidt-Kessel NJW 03, 3748, 3749; im Grundsatz auch BGH NJW 05, 1572, 1573) sowie der des spezielleren Gesetzes (BGH NJW 05, 1572, 1573; BGH WM 10, 34, 35 Rz 17). Ältere Übergangsregeln werden daher durch jüngere grds verdrängt, soweit diese jüngeren nicht Raum für den Fortbestand der älteren Bestimmungen lassen (BGH NJW 05, 1572, 1573; Schmidt-Kessel NJW 03, 3748, 3749); dieser Raum folgt nicht schon aus einer generellen Offenheit jüngerer Normen für ältere Spezialvorschriften (problematisch daher BGH NJW 05, 1572, 1573 [BGH 06.04.2005 - VIII ZR 155/04] [Regelungswille wird aus der älteren Norm hergeleitet]).