Prof. Dr. Michael Stürner
1. Leistungsnähe des Dritten.
Rn 5
Der Dritte muss sich bestimmungsgemäß in der Nähe (im Gefahrenbereich) der Leistung befinden (BGHZ 70, 323, 329). Dabei wird bisweilen formuliert, der Dritte müsse den Gefahren aus der Leistung in gleicher Weise ausgesetzt sein wie der Gläubiger (etwa BGHZ 129, 136, 168; allgemeiner BGHZ 133, 168, 173; 166, 117 Rz 52). Das trifft aber in einigen Fallgruppen nicht zu. So kann ein vom Verkäufer bestelltes unrichtiges, weil einen zu hohen Wert angebendes Gutachten für den Verkäufer sogar günstig sein; trotzdem sind spätere Käufer in den Schutzbereich des Gutachtervertrages einbezogen worden (u. Rn 8). Richtig ist wohl nur, dass der Dritte auch statt des Gläubigers den Vertragsgefahren ausgesetzt sein kann (Schlechtriem FS Medicus [99], 529 ff).
Rn 6
Häufig gehen aber Gefahren für Dritte nicht von der Leistung aus, sondern von sonstigen Einwirkungen auf den Dritten. So ist das seine Mutter beim Einkauf begleitende Kind von BGHZ 66, 51 (Rn 14) nicht durch den Erwerb der Mutter geschädigt worden, sondern durch den Zustand des Geschäftsraums. In solchen Fällen kann man nicht auf die Leistungsnähe abstellen, sondern muss etwa von Einwirkungsnähe sprechen (Canaris ZIP 04, 1781, 1787).
2. Einbeziehungsinteresse des Gläubigers.
Rn 7
Insb wenn man den Drittschutz mit der Vertragsauslegung begründet, muss man konsequenterweise ein Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den vertraglichen Schutzbereich verlangen. Das hat der BGH zunächst mit der Formulierung getan, der Gläubiger müsse ›sozusagen für das Wohl und Wehe des Dritten mitverantwortlich‹ sein (etwa BGHZ 51, 91, 96). Diese Mitverantwortlichkeit ist gefolgert worden für nahe Angehörige aus der Unterhaltspflicht des Versprechensempfängers und für Dienstverpflichtete aus § 618; es geht dabei im Wesentlichen um Körperverletzungen (s Wertenbruch FS U. Huber [06], 637, 639f). Generell genügt es, wenn dem Gläubiger Schutzpflichten gegenüber dem Dritten aufgrund einer Sonderverbindung in Gestalt eines sonstigen Vertrages oder zumindest eines Gefälligkeitsverhältnisses oder eines besonderen sozialen Kontaktes obliegen (BGH MDR 17, 73 [BGH 17.11.2016 - III ZR 139/14] Rz 19). Die Insolvenzantragspflicht kann zur Einbeziehung des Geschäftsleiters einer juristischen Person in die Hinweis- und Warnpflichten eines Rechtsberaters führen (BGH NJW 23, 2775 [BGH 29.06.2023 - IX ZR 56/22]).
Rn 8
Aber auch dieses Erfordernis ist nicht überall durchgehalten worden. Denn insb beim Vertrauen eines Dritten auf eine berufliche (sachverständige) Auskunft soll dieser Dritte sogar dann geschützt werden können, wenn seine Interessen denen des Gläubigers gegenläufig sind, so dass dem Gläubiger am Schutz des Dritten nicht gelegen ist (etwa BGHZ 127, 378, 380f). Hier lässt sich auch durch Vertragsauslegung nicht mehr die Annahme begründen, der Gläubiger habe den Dritten begünstigen wollen. In solchen Fällen liegt die Anwendung von § 311 III nahe: Der Gutachter hat, gestützt auf sein Fachwissen (und ggf auch eine staatliche Anerkennung), in besonderem Maß Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch den Inhalt des Vertrags zwischen dem Gläubiger und dem Dritten erheblich beeinflusst (zB durch die unrichtig hohe Wertangabe den von dem Dritten gebotenen Kaufpreis in die Höhe getrieben). Vgl u. Rn 24 und § 311 Rn 71.
3. Erkennbarkeit für den Schuldner.
Rn 9
Dem Schuldner muss erkennbar gewesen sein, dass infolge eines Fehlers bei der Vertragserfüllung ein Dritter zu Schaden kommen kann (etwa BGHZ 75, 321, 323 mN). Denn er muss das Risiko einer durch den Drittschutz eintretenden Haftungserweiterung abschätzen können um, ggf auch durch einen entspr Versicherungsschutz Vorsorge zu treffen (BGHZ 51, 91, 96; BGH ZIP 04, 1814, 1817). Auf diese Erkennbarkeit kann man am ehesten verzichten, wenn der Schaden dem Dritten statt dem Gläubiger droht, so dass nur der Gläubiger und nicht der Umfang der Ersatzpflicht in Frage steht. Gleiches gilt nach BGHZ 159, 1, 9 f auch, wenn die Zahl der Dritten ungewiss ist, aber das Haftungsrisiko insgesamt (etwa durch den geschätzten Grundstückswert) beschränkt wird.
4. Schutzbedürfnis des Dritten.
Rn 10
BGHZ 133, 168, 172 fordert zusätzlich ein Schutzbedürfnis des Dritten. Dieses sei im Allgemeinen zu verneinen, wenn dem Dritten – gleich gegen wen – eigene Vertragsansprüche zustehen, die zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie die Ansprüche aus der Drittschutzwirkung. Daher hat BGHZ 70, 327, 330 eine Drittschutzwirkung des Hauptmietvertrages für den Untermieter verneint, weil dieser Ansprüche gleichen Inhalts gegen seinen Untervermieter habe; ebenso BGH NJW-RR 11, 462 für Ansprüche gegen den KfZ-Sachverständigen wegen Sachmangels und den weiterhin bestehenden Nacherfüllungsanspruch des Käufers; s weiter BGH NJW 18, 1537. Nach BGHZ 200, 188 ist mangels Schutzbedürftigkeit auch der Eigentümer eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs nicht in den Schutzbereich des zwischen dem Verwaltungsträger und einem privaten Abschleppunternehmer geschlossenen Vertrags einbezogen. Auf die Leistungsfähigkeit des weiteren Schuldners soll es dabei nicht ankommen (BGH NJW 04, ...