Prof. Dr. Moritz Brinkmann
Rn 14
Die Abschlussfreiheit gewährleistet die freie Entscheidung des Einzelnen darüber, ob und mit wem er eine vertragliche Bindung eingeht. Im Grundsatz kann niemand gezwungen werden, sich ggü einer bestimmten Person vertraglich zu binden.
1. Reichweite der Abschlussfreiheit.
Rn 15
Die so beschriebene negative Abschlussfreiheit setzt voraus, dass die Rechtsordnung einen zwischen zwei Parteien geschlossenen Vertrag als wirksam anerkennt (positive Abschlussfreiheit, Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 13). Im engsten persönlichen Freiheitsbereich versagt das Recht allerdings diese Anerkennung, da diese Sphäre einer (vertraglichen) Selbstbindung nicht zugänglich ist. Daher kann etwa nicht wirksam auf das Recht verzichtet werden, Vaterschaftsanfechtungsklage zu erheben (BGHZ 87, 169, 174 = NJW 83, 2073; BGHZ 129, 297, 301 = NJW 95, 2028, 2030). Zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit einer Verabredung über die Einnahme empfängnisverhütender Mittel BGHZ 97, 372, 378 = NJW 86, 2043; Medicus/Petersen BürgR Rz 372a.
Rn 16
Grds umfasst die Abschlussfreiheit auch die Möglichkeit, sich seiner Freiheit, Verträge zu schließen, (partiell) zu entäußern. In dem Sinn, dass man sich vertraglich zu einem Vertragsabschluss verpflichten kann, ist dies unproblematisch, wie schon das Beispiel des Vorvertrags zeigt (Rn 27). Auch die vertragliche Verpflichtung, nicht mit einem Dritten zu kontrahieren, ist wirksam, führt allerdings nicht zur Unwirksamkeit des abredewidrig geschlossenen Vertrages, sondern selbst im Fall von vertraglichen Verfügungsverboten gem § 137 lediglich zu Schadensersatzansprüchen. Umstr ist die Beurteilung von Vereinbarungen, mit denen sich die Parteien verpflichten, in Zukunft keine vertragliche Bindung miteinander einzugehen (Wagner von Papp AcP 205, 342 ff). Spricht man solchen Abreden Wirksamkeit zu, so bewirken sie für die Folgezeit einen partiellen Verlust der positiven Abschlussfreiheit. Spricht man sich hingegen für die Unwirksamkeit oder freie Aufhebbarkeit aus, so negiert man die positive Abschlussfreiheit im Ausgangszeitpunkt. Relevant wird dieses Freiheitsparadoxon unter anderem bei der Frage der Wirksamkeit von Eigensperren in Spielbanken. Diese Eigensperren werden von der hM als Rechtsgeschäfte gedeutet, mit denen die Spielbank eine Pflicht übernimmt, künftiges Spielen des gesperrten Spielers zu unterbinden. Entgegen dieser Verpflichtung geschlossene Spielverträge sind jedoch nicht unwirksam, es entsteht lediglich ein Schadensersatzanspruch des Spielers aus § 280 I hinsichtlich etwaiger Verluste (BGHZ 174, 255 = NJW 08, 840; BGHZ 165, 267 = NJW 06, 362 = JZ 06, 468 m Anm Wagner-von Papp; aA Schulze FS Jayme, 1577). Das Problem der Selbstbeschränkung der Privatautonomie stellt sich in ähnlicher Weise bei rechtsgeschäftlichen Absprachen über die Formbedürftigkeit von Vertragsänderungen (§ 125 Rn 24).
2. Einschränkungen der negativen Abschlussfreiheit.
Rn 17
Die negative Vertragsfreiheit wird durch den Kontrahierungszwang eingeschränkt (s.a. § 311 Rn 7 ff). Dieser kann sich aus Gesetz (Rn 18 ff) oder Rechtsgeschäft (Einräumung einer Option oder Vorvertrag, s Rn 27 ff) ergeben. In diesen Fällen besteht für den Adressaten des Gebots die Pflicht, den ihm angetragenen Vertrag abzuschließen (Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 14 ff). Eine Verzögerung der Vertragsannahme führt zur Schadensersatzpflicht aus § 280 I. Auch in den Fällen des Kontrahierungszwangs reicht bloßes Schweigen des Verpflichteten auf das Angebot grds nicht aus (KG 11 U 15/07, GuT 08, 52 [KG Berlin 19.12.2007 - 11 U 15/07]; Staud/Bork Vor zu §§ 145–156 Rz 30; Erman/Armbrüster Vor § 145 Rz 31; Grüneberg/Ellenberger Einf v § 145 Rz 11). Anderes gilt nur bei § 5 III PflVersG und unter den bei §§ 147, 148 Rz 4 dargestellten Voraussetzungen. Häufig wird allerdings der Zugang der Annahme nach § 151 1 verzichtbar sein. Die Pflicht zum Vertragsabschluss kann auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchgesetzt werden (vgl Karlsr GRUR 80, 811; BeckOK/H.-W. Eckert § 145 Rz 13). Hinsichtlich bereits geschlossener Verträge wandelt sich das Kontrahierungsgebot in ein Kündigungsverbot (BGHZ 107, 273, 279 = NJW 89, 3011; Saarbr NJW-RR 08, 1632 Kontenkündigung bei extremer Partei). Zum Kontrahierungszwang nach dem AGG s § 21 AGG Rn 2.
a) Unmittelbarer Kontrahierungszwang.
Rn 18
In den Fällen des unmittelbaren Kontrahierungszwangs ergibt sich dieser direkt aus einer gesetzlichen Vorschrift: Verkehrsrecht § 10 AEG; §§ 22, 47 IV PBefG; 21 II 3 LuftVG. Telekommunikationsrecht § 13 II PostG; §§ 16, 19 TKG. Energierecht §§ 18, 36 EnWG 2005; § 7 I EEG 2017; § 4 II KWKG 2002. Versicherungsrecht § 5 II, IV PflVG; § 199 II VVG. Sozialrecht §§ 23, 110 I Nr 1 SGB XI. Berufsrecht §§ 48, 49 BRAO; § 15 I BNotO. Gewerblicher Rechtsschutz § 42a UrhG; §§ 13, 24 PatG; § 20 GebrMG. Kartellrecht §§ 19 IV Nr 4). Neben diesen bundesrechtlichen Vorschriften sehen auch einige landesrechtliche Vorschriften Abschlussgebote vor.
b) Mittelbarer Kontrahierungszwang.
Rn 19
Außerhalb dieser ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung wird ein (mittelbarer) Kontrahierungszwang aus § 826 hergeleitet. Die gem § 249 herzustellende Naturalrestitution vollzieht si...