Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Überblick.
Rn 14
Die Bürgschaft ist eine im Wirtschafts- und Bankenverkehr weit verbreitete Form der Personalsicherheit. Nach den statistischen Angaben der Bundesbank betrugen die Verbindlichkeiten aus Bürgschaften und Gewährleistungsverträgen per 31.10.19 ca 273,7 Mrd EUR. Im Vergleich zu den dinglichen Sicherheiten (zB Grundschuld, Verpfändung, Sicherungsübereignung, Sicherungszession) hat die Bürgschaft aus der Sicht des Gläubigers den Vorteil, dass das gesamte Vermögen des Bürgen haftet und der Gläubiger nicht nur auf ein bestimmtes Sicherungsobjekt zugreifen kann (die Bürgschaft wird daher auch als Geldwertschuld qualifiziert, Staud/Feldmann § 291 Rz 9). Dem ggü hat die Bürgschaft den Nachteil, dass deren Wert maßgeblich von der uU schwer einzuschätzenden Gesamtvermögenssituation des Bürgen abhängt. Daher wird in der Praxis häufig die Bürgschaft mit dinglichen Sicherheiten (insb Grundpfandrechten) unterlegt.
Rn 15
Die Praxis hat unter Nutzung der Vertragsfreiheit viele Erscheinungsformen der Bürgschaft geschaffen (s § 765 Rn 71 ff). Komplex sind häufig die Fragen an den Schnittstellen zwischen dem allg Zivilrecht und den wirtschaftlich geprägten Nachbargebieten des Handels-, Gesellschafts-, Steuer- oder Bankrechts. Einige von ihnen werden im Folgenden vorab aufgegriffen (branchentypische Bürgschaften des Zivilrechts – im Zusammenhang mit Bauwerk- oder Mietverträgen – werden bei § 765 Rn 83 ff, 91 ff behandelt). Zu den versicherungsähnlichen Hermes-Bürgschaften des Bundes s Junker in Hmbg Hdbuch ExpR, Abschn 27.
2. Besonderheiten im Wirtschafts- und Handelsverkehr.
Rn 16
Im Wirtschaftsverkehr wird häufig die Bestellung einer unwiderruflichen, unbedingten und unbefristeten Bürgschpaft unter ausdrücklichem Verzicht auf die Einrede der Vorausklage (s § 773 I Nr 1) erwartet. Unwiderruflich heißt, dass die Willenserklärung nicht einseitig aufgehoben werden kann und der Bürge daran gebunden ist. Unbedingt bedeutet, dass die Bürgschaft keine aufschiebende oder auflösende Bedingung iSd § 158 enthalten darf. Unbefristet ist die Bürgschaft, wenn sie nicht iSd §§ 163, 777 zeitlich begrenzt ist. In manchen Fällen ist eine unbefristete Bürgschaft gesetzlich vorausgesetzt. So erkennt § 17 Abs 4 VOB/B nur eine unbefristete Bürgschsaft als geeignete Sicherheit an (Kapellmann/Messerschmidt/Thierau VOB-Kommentar, Teil A/B, § 17 VOB/B Rz 139). Solange die gesicherten Ansprüche bestehen und durchsetzbar sind, soll eine Befriedigung aus der Bürgschaft möglich sein (Beck'scher VOB-Kommentar/Koos/Rudolph, Teil B, § 17 Abs 4 VOB/B, Rz 50). § 17 Abs 4 VOB/B regelt allerdings nur den Umfang des Anspruchs des Auftraggebers auf die Sicherheitsleistung gegen den Auftragnehmer. Nimmt der Auftraggeber eine zeitlich befristete Bürgschaft an, so ist diese im Verhältnis zwischen Bürgen und Auftraggeber wirksam, auch wenn sie hinter dem vertraglichen Anspruch des Auftraggebers zurückbleibt (Messerschmidt/Voit/Voit, Privates Baurecht § 17 VOB/B, Rz 11).
Rn 17
Der Kaufmann, für den die Bürgschaft ein Handelsgeschäft darstellt, kann die Bürgschaft nach § 350 HGB mündlich übernehmen (s § 766 Rn 8). Ihm steht die Einrede der Vorausklage aus § 771 nicht zu (§ 349 HGB), da er aufgrund seiner größeren Geschäftserfahrung weniger schutzwürdig ist (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Hakenberg HGB § 349 Rz 1). §§ 349, 350 HGB sind dispositiv und können daher – ggf. konkludent – abbedungen werden (BeckOKHGB/Lehmann-Richter § 349 Rz 3; MüKoHGB/Maultzsch § 349 Rz 18). Dies kann iRv § 350 HGB ggf konkludent erfolgen (BeckOKHGB/Lehmann-Richter § 350 Rz 12). Schließlich hindert die Einstellung einer Forderung in ein Kontokorrent nach Maßgabe von § 356 HGB nicht die Befriedigung aus der Bürgschaft (s § 765 Rn 12).
3. Gesellschaftsrechtliche Besonderheiten.
a) Grundfall der Gesellschafterbürgschaft.
Rn 18
Bürgschaften von Gesellschaftern kommt große praktische Bedeutung zu. Insb erwarten Geschäftspartner (zB Vermieter, Lieferanten, Banken) von Kapitalgesellschaften mit geringer Eigenkapitalausstattung häufig, dass ihre Gesellschafter-Geschäftsführer auch persönlich als Bürgen mit ihrem Vermögen für die Erfüllung der Hauptverbindlichkeit durch die Gesellschaft einstehen (arg ›Wenn Sie als Gesellschafter dem Unternehmen nicht trauen, wer sonst?‹; Banken sprechen in Anlehnung an die früher übliche Wechselpraxis vom ›querschreiben‹). Da der Bürge in diesen Fällen am Vertragsabschluss der Gesellschaft ein Eigeninteresse und Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft hat, ist die Gesellschafterbürgschaft im Gegensatz zur ruinösen Angehörigenbürgschaft idR nicht sittenwidrig (vgl für einen GmbH-Gesellschafter Frankf BeckRS 17, 147593 Rz 42; s.a. § 765 Rn 35 ff).
Rn 19
Auch bei Personengesellschaften hat der Gläubiger durch die Bürgschaft eines persönlich haftenden Gesellschafters Vorteile: Zwar haftet dieser nach § 126 HGB (die Vorschrift gilt analog für die GbR: BGHZ 146, 341, 358) ohnehin persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Allerdings wird er als Gesellschafter nach § 227 II iVm I InsO in der Insolvenz der Gesellschaft mit der im Insolvenzplan festgesetzten Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seiner ...