Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Prozessbürgschaft nach § 108 ZPO als besondere Erscheinungsform der Bürgschaft.
Rn 38
S § 765 Rn 97 ff.
2. Durchsetzung von Rechten aus Bürgschaftsverträgen im Prozess.
Rn 39
Ein Anspruch aus einer Bürgschaft ist in aller Regel – ebenso wie ein Regressanspruch aus § 774 (vgl § 774 Rn 19) – vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (ggf inkl Prozesszinsen, § 291, Staud/Feldmann § 291 Rz 9). Maßgebend für den Rechtsweg ist die Rechtsnatur des erhobenen Anspruchs aus der Bürgschaft, wie sie sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der klagenden Partei ergibt (BGHZ 90, 187, 189; s zB auch BGH NJW 97, 328 f zum Zivilrechtsweg bei Hermes-Bürgschaften und BGH WM 04, 1648, 1649 für eine verbürgte Zollschuld).
Rn 40
Der Gläubiger kann den Hauptschuldner und den Bürgen (wie zB im Fall BGH NJW 68, 916) gemeinsam verklagen (ggf, bei unterschiedlichem Gerichtsstand, nach Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des Gerichtsstands nach §§ 36 Nr 3, 37 ZPO). Oder er verklagt sie getrennt. Sie sind keine notwendigen Streitgenossen iSd § 62 ZPO (BGH NJW 69, 1480 [BGH 21.05.1969 - VIII ZR 141/67]; Zö/Althammer § 62 Rz 8). Schließlich kann der vom Gläubiger verklagte Bürge zur erleichterten Durchsetzung seiner Rückgriffsansprüche aus §§ 670, 774 I 1 dem Hauptschuldner nach § 72 ZPO den Streit verkünden (Zö/Althammer § 72 Rz 7). Verklagt er den Bürgen, sind Kosten eines Beweissicherungsverfahrens gegen den Hauptschuldner mangels Parteiidentität keine Kosten des Rechtsstreits (Koblenz WM 04, 2253, 2254). Eine Klage aus Bürgschaft ist auch auf Grund gewillkürter Prozessstandschaft möglich, wenn der Ermächtigte auch zur Einziehung der verbürgten Hauptforderung ermächtigt ist (BGH NJW 07, 1957, 1959 [BGH 12.04.2007 - VII ZR 50/06]: zu einer umgedeuteten Abtretungserklärung).
Rn 41
Für den Erlass eines Grundurteils nach § 304 ZPO gegen den Bürgen muss neben der Feststellung des Bestandes und des Inhaltes des Bürgschaftsvertrages auch der Bestand der verbürgten Hauptverbindlichkeit dem Grunde nach feststehen (BGH NJW 90, 1366, 1367). Für die Rechtskrafterstreckung gilt: Der Gläubiger kann sich – außer im Fall der Streitverkündung – ggü dem Bürgen nicht auf ein für ihn positives Urt gegen den Hauptschuldner berufen (BGHZ 107, 92, 96 mwN). Der Bürge kann sich hingegen nach § 768 I 1 ggü dem Gläubiger darauf berufen, dass die Forderung gegen den Hauptschuldner rechtskräftig abgewiesen ist (BGH NJW 70, 279; Schimanski/Bunte/Lwowski/Nobbe, § 91 Rz 529). Keine Rechtskrafterstreckung der Feststellung des Gerichts im Bürgschaftsprozess über aufzurechnende Gegenforderung des Hauptschuldners ggü dem Hauptschuldner: BGH, Beschl v 21.5.19 – II ZA 12/18). Für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen s.u. Rn 67.
Rn 42
Beweislast: Der Gläubiger muss – im Urkundsprozess durch Urkunden (RGZ 97, 162) – die Entstehung der Hauptschuld (BGH NJW 95, 2161, 2162; 96, 719) und die Begründung der Bürgschaftsschuld beweisen (BGHZ 148, 283, 288; s § 767 Rn 16). Der Bürge muss Einreden darlegen und beweisen (zB aus § 768 I 1: Zahlung des Hauptschuldners; BGH NJW 14, 3312 Rz 19). Dabei hat er nach § 810 einen Anspruch auf Einsicht in die Handelsbücher des Gläubigers (BGH NJW 14, 3312 [BGH 27.05.2014 - XI ZR 264/13] Rz 20 ff mwN). Beim Saldoanerkenntnis muss der Bürgschaftsgläubiger nachweisen, dass die Gegenansprüche und Leistungen des Kontokorrentschuldners richtig und vollständig in die Abrechnung aufgenommen sind (aaO).
Rn 43
Bei Klagen auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde (s hierzu bei Mietbürgschaft § 765 Rn 92) muss der Bürge darlegen und beweisen, dass der Grund für die Überlassung einer Bürgschaft entfallen ist (zB Brandbg NZBau 05, 155 [OLG Brandenburg 06.04.2004 - 17 U 79/03]); dies ist nicht der Fall, wenn noch eine Insolvenzanfechtung und somit ein Wiederaufleben der Hauptforderung zu besorgen ist (LG Lübeck NZI 17, 310). Der Streitwert einer Herausgabeklage ist nach dem konkreten Missbrauchsrisiko zu bestimmen (Köln MDR 94, 101).
3. Einstweiliger Rechtsschutz.
Rn 44
Für einstweiligen Rechtsschutz zur Vermeidung einer missbräuchlichen Inanspruchnahme bestehen für den Hauptschuldner folgende zT in Anlehnung an die Rspr zur Bankgarantie entwickelte Ansatzpunkte: (1.) Der Hauptschuldner nimmt den Bürgen aus dem der Bürgschaft zu Grunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrag auf Unterlassung der Zahlung in Anspruch, weil ihm zwangläufig ein Rückgriff droht (s LG Kleve ZIP 98, 1632, 1633); (2.) er beantragt, dem Gläubiger aufzugeben, die Bürgschaftsurkunde an den Gerichtsvollzieher zur Verwahrung zu übergeben (Ddorf NJW 03, 3716 f [OLG Düsseldorf 17.06.2003 - 23 U 234/02]: zur Sicherung eines Herausgabeanspruchs aus § 812 I 1 bei angekündigter Inanspruchnahme); (3.) der Hauptschuldner verlangt vom Gläubiger, die Inanspruchnahme des Bürgen zu unterlassen (zB Frankf ZIP 90, 1393, 1394 ff; vgl auch Brandbg NJW-RR 04, 1164 u BGHZ 152, 246, 251 f; Pioch JuS 18, 438, 440 ff). Darüber hinaus kommt (4.) ggf ein Arrest in den Anspruch des (rechtsmissbräuchlich handelnden) Gläubigers gegen einen selbstschuldnerischen Bürgen auf Auszahlung des Bürgschaftsbetrags in Betracht (vgl Hambg 5.3.03, Az 8 U 169/02, II 2 für e...