Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 1
Der in den §§ 355 ff geregelte verbraucherschützende Widerruf hat nichts mit zahlreichen anderen im BGB geregelten Widerrufsrechten zu tun, nämlich etwa § 130 I 2 (Willenserklärung), §§ 109, 168 3, 183 (Einwilligung oder Vollmacht), § 530 (Schenkung), § 630d III (Behandlungsvertrag), § 658 (Auslobung), § 671 I (Auftrag), § 675j II (Zahlungsdienste), § 790 (Anweisung) und andere mehr. Gemeinsam ist allen Fällen nur, dass eine Willenserklärung oder ein Rechtsgeschäft entkräftet werden soll (zur Effizienz des Widerrufsrechts Eidenmüller AcP 210, 67; Höhne Das Widerrufsrecht bei Kaufverträgen im Spannungsverhältnis von Opportunismus und Effektivität 16). Das Widerrufsrecht beruht auf EU-Richtlinien (vgl Vor §§ 312 ff Rn 1 ff; s.a. Vor §§ 346 ff Rn 3).
Rn 2
Das VRRL-UG hat mWv 13.6.14 die VRRL (RL 2011/83/EU) in nationales Recht umgesetzt (s dazu Vor §§ 312 ff Rn 3 f). Folge ist eine grundlegende Neufassung und Neustrukturierung auch der §§ 355 ff. Wesentliche Neuerungen der Reform sind: (1) Die Regelungen über das Widerrufsrecht werden zentral in den §§ 355 ff zusammengefasst, insb werden Sonderregelungen für besondere Verbraucherverträge, die bisher bei den einzelnen Vertragstypen normiert sind, in die §§ 355 ff integriert. (2) Zudem wird hinsichtlich der Rechtsfolgen des Widerrufsrechts nicht mehr auf die §§ 346 ff verwiesen. (3) Das zuvor in § 356 aF geregelte Rückgaberecht entfällt. (4) Die Neufassung erfasst schließlich auch die Vorschriften über verbundene Verträge, die um eine einheitliche Vorschrift über zusammenhängende Verträge ergänzt werden.
Rn 3
Außerhalb der gesetzlich angeordneten Widerrufsrechte (ua §§ 312g I, 485, 495 I, 506 I, 510 II, 513, 514 II 1, 515, 650l S 1; § 4 S 1 FernUSG) herrscht Vertragsfreiheit, so dass die Parteien die Widerrufsmöglichkeit vereinbaren können (ggf bereits durch Widerrufsbelehrung BGH 22.5.12, II ZR 148/11 Rz 10 ff; NJW 12, 1066 Rz 18 ff; WM 18, 2317 Rz 19; zurückhaltend aber BGHZ 229, 59 Rz 69 ff: Einer ›Widerrufsinformation‹ komme regelmäßig kein rechtsgeschäftlicher Gehalt iSd §§ 305 ff zu). Ein Widerrufsrecht kann auch dergestalt vertraglich vereinbart werden, dass für die nähere Ausgestaltung und Rechtsfolgen auf die §§ 355, 357 verwiesen wird, ohne dass es auf das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eines Widerrufsrechts ankommen soll (so etwa BGH ZIP 12, 1509 mN). Für die Annahme, dass die Frist für die Ausübung eines solchen vertraglich vereinbarten Widerrufsrechts nur dann in Gang gesetzt werden soll, wenn der Unternehmer dem Verbraucher zusätzlich eine Belehrung erteilt hat, die den Anforderungen für ein gesetzliches Widerrufsrecht entspricht, müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen (BGH ZIP 12, 1509). Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn sich der Unternehmer bei der Formulierung der Widerrufsbelehrung an den Vorgaben des gesetzlichen Widerrufsrechts orientiert hat und im Falle des Eingreifens eines solchen mit der Belehrung die gesetzlichen Anforderungen erfüllen wollte (BGH aaO).
Rn 4
Der Widerruf der §§ 355 ff bezieht sich auf Verbraucherverträge. Die gesetzliche Definition hierfür findet sich in § 310 III am Anfang: Verträge zwischen einem Unternehmer (§ 14) und einem Verbraucher (§ 13). Allerdings ist diese Bezeichnung hauptsächlich für diejenigen Vertragstypen sinnvoll, für die bei Beteiligung eines Verbrauchers Sonderrecht gilt, also zB für den Verbrauchsgüterkauf (§§ 474 ff), nicht aber für eine Verbrauchermiete. Denn bei der Miete wird ein besonderer Schutz idR nicht an die Beteiligung eines Verbrauchers geknüpft, sondern schlechthin an die Rolle als Wohnungsmieter.
Rn 5
Am 21.3.16 ist das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11.3.16 (WoImmoKrRL-UG, BGBl I 396) in Kraft getreten. Vorausgegangen war der RegE vom 7.9.15, BTDrs 18/5922. Die Reform dient der Umsetzung der Wohnimmobilienkredit-Richtlinie (Richtlinie 2014/17/EU vom 4.2.14 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher, ABl EU L 60/34 v 28.2.14, s Piekenbrock GPR 15, 26). Das WoImmoKrRL-UG hat Änderungen der §§ 356 IV, 356a, 356b, 357b III, 358 II, 359 I und 360 II herbeigeführt und einen neuen § 356d geschaffen. Neu ist die Kategorie des Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrags (Def § 491 III). Mit berücksichtigt wurden überdies unentgeltliche Verbraucherdarlehensverträge (va § 356d). Übergangsvorschriften: Art 229 § 38 EGBGB; dazu Omlor NJW 16, 1265.
Rn 6
Am 1.1.18 ist das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren vom 28.4.17 (BGBl I 969) in Kraft getreten. Durch die Reform wird in den §§ 650a ff das Recht des Bauvertrags kodifiziert. Für den Verbraucherbauvertrag (§ 650i) ist in § 650l ein Widerrufsrecht vorgesehen. Diesbezüglich bestehen Sondervorschriften für den Beginn der Widerrufsfrist (§ 356e) und die Rechtsfolgen des Widerrufs...