Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Form.
1. Qualifikation.
Rn 4
Anknüpfungsgegenstand des Art 11 ist die Form, dh die Art und Weise der Äußerung einer Willenserklärung (Erman/Hohloch Rz 13; Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 49). Abzugrenzen ist einerseits von den sachlichen Voraussetzungen, die der lex causae unterliegen, und andererseits von prozessualen Fragen, die der lex fori unterliegen. Testfrage für die Qualifikation kann sein, ob die fremde Norm typischen Formzwecken, wie der Beratung, dem Schutz vor Übereilung oder der Beweissicherung dient (BGHZ 29, 142).
2. Beispiele.
Rn 5
Zum Formstatut gehört, ob eine Form überhaupt erforderlich ist (Lorenz IPRax 94, 196 [KG Berlin 27.04.1993 - 1 W 1902/93]), wer sich ihrer bedienen muss oder darf (Volljährigkeit für eigenhändiges Testament, vgl Kropholler § 41 III 3b), die Folgen von Formverstößen (Looschelders Rz 15) und die einzelnen Anforderungen, zB das Erfordernis einer Verkörperung (mündlich, schriftlich, elektronisch, per Telefax, handschriftlich, eigenhändig), Verwendung einer festen sprachlichen Formel, die Höchstpersönlichkeit (s BGHZ 29, 137 zur Zulässigkeit der sog Handschuhehe durch Boten oder Stellvertreter; dazu Sturm IPRax 13, 412; VG Magdeburg BeckRS 20, 12578: Heiratsantrag u Annahme durch die am Ort der Eheschließung anwesenden Vertreter der Parteien; VGH München StAZ 22, 306 zur Online-Trauung), die Mitwirkung von Amts- oder anderen Personen (öffentliche Beglaubigung, Beurkundung, Anwesenheit von Zeugen, der anderen Partei, religiöse Eheschließung) einschließlich deren Zuständigkeit und des von diesen zu beachtenden Verfahrens (BGH FamRZ 03, 675; RGZ 133, 165; Stuttg FamRZ 90, 559; Zweibr 79, 242) oder das Hinzutreten eines Realakts wie etwa eines Handschlags (Looschelders Rz 8). Das Erfordernis der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Anteilsübertragung ist keine Frage der Form (zu Art 786 I schweizerisches OR: Weller Der Konzern 08, 257 u BB 05, 1807; aA LG Frankf BB 09, 2500). Regelungen zur Vertragssprache werden teilw im Hinblick auf ihren Schutzzweck undifferenziert dem Vertragsstatut zugeordnet (Grüneberg/Thorn Art 11 ROM I Rz 3), teilw pauschal dem Formstatut (Reinhart RIW 77, 19); differenzierende Lösungen unterscheiden danach, ob, wie zB mit § 483 I BGB (BTDrs 13/4185), typische Formzwecke verfolgt werden, und wenden nur dann das Formstatut an (Looschelders Rz 10; Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 149; Jayme IPRax 97, 235f), nicht aber bei nur kultureller Bedeutung der Sprachregelung (ausf Freitag IPRax 99, 142). Anscheinende verfahrensrechtliche Vorschriften können als Formvorschriften zu qualifizieren sein, wenn die prozessuale Sanktion letztlich nur die Einhaltung einer bestimmten Form gewährleisten soll, was etwa der Fall ist bei in den USA vorgesehener Unklagbarkeit eines Kaufvertrages über mehr als 500 $, wenn keine Beurkundung oder Teilleistung erfolgt ist (ähnl Kegel/Schurig § 17 V 3d; aA Donath IPrax 94, 333; offengelassen Oldbg RIW 96, 66), bei Ausschluss des Zeugenbeweises bei Geschäften von mehr als 800 EUR nach Art 1341 französischer CC iVm Dekret vom 15.7.80 (MüKo/Spellenberg Rz 36 ff; Kegel/Schurig § 17 V 3d; aA für den ähnl Art 1985 CC, der die Vollmacht betrifft BGH JZ 55, 702 [BGH 30.07.1954 - VI ZR 32/53]; aA iÜ Marschall v Bieberstein FS Beitzke [79], 625; Frey NJW 72, 1602 [OLG Celle 28.07.1971 - 1 Wx 30/71]) oder bei bestimmten Vorschriften des italienischen Rechts zum Urkunden- und Zeugenbeweis (LG Mannheim NJW 71, 2129), solange es nicht um die Untauglichkeit von Zeugen aus persönlichen Gründen geht (KG IPRspr 77 Nr 19).
II. Von Rechtsgeschäften. Grundsatz.
Rn 6
Erfasst ist die Form von Verträgen, auch familienrechtlicher Art (vgl zB BGH NJW 20, 2024 [BGH 18.03.2020 - XII ZB 380/19] zu Brautgabeversprechen; BGH NJW-RR 11, 1225 [BGH 13.07.2011 - XII ZR 48/09], m Anm Mörsdorf-Schulte LMK 11, 322656 zur Güterstandsvereinbarung; VG Würzburg BeckRS 22, 8191, Jena FamRZ 20, 1461, München StAZ 20, 177, Mörsdorf-Schulte NJW 07, 1331 zu Eheschließung im Ausland – zu Eheschließung im Inland s.o. Rn 3), einseitigen Rechtsgeschäften und geschäftsähnlichen Handlungen (Erman/Hohloch Rz 11; Looschelders Rz 113), also zB auch von Mahnungen, Vaterschaftsanerkenntnissen (BGH NJW 75, 1069; AG Karlsruhe DAVorm 90, 391) und Einwilligungen, etwa zur Adoption (KG FamRZ 93, 1363) oder zur heterologen Insemination (BeckOK/Mäsch Rz 17; aA österr OGH JBl 96, 717). Rechtswahlverträge sollen nach einer Ansicht (BeckOK/Mäsch Rz 18) – wegen ex Art 27 IV außer bei Wahl des Schuldvertragsstatuts – nicht unter Art 11 fallen; das kann auf sich beruhen, soweit das Kollisionsrecht selbst Angaben zur Form macht (Art 10 II 2, III 2, 14 IV, 15 III).
Rn 7
Ausnahmen. Bestimmte Rechtsgeschäfte sind letztlich dem Anwendungsbereich des Art 11 entzogen. So sind dingliche Verfügungen nach IV von der Anknüpfung an den Vornahmeort ausgenommen, werden also ausschl vom Geschäftsstatut erfasst. IV betrifft bewegliches und unbewegliches Vermögen, umfasst aber nicht die Erteilung einer diesbezüglichen Abschlussvollmacht (München IPRax 90, 322 [OLG München 10.03.1988 - 24 ...