Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Überblick.
Rn 8
Art 11 schreibt eine alternative Anknüpfung vor, entweder an den Vornahmeort des Geschäftes (locus regit actum) oder an den Anknüpfungspunkt des Geschäftsstatuts, dem das Rechtsgeschäft, um dessen Form es geht, selbst unterliegt. Die Anknüpfung an den Vornahmeort unterliegt Einschränkungen nach IV aF u V aF: Für Schuldverträge, die Grundstücke betreffen, tritt zu der Alternative Ortsstatut oder Geschäftsstatut kumulativ eine Anknüpfung an den Belegenheitsort hinzu, die freilich auf die dortigen Eingriffsnormen beschränkt ist (IV aF, s.u. Rn 16). Darüber hinaus besteht für das Formstatut nach hM immer dann die Möglichkeit einer Rechtswahl, wenn auch das Geschäftsstatut diese vorsieht.
II. Günstigkeitsprinzip.
Rn 9
Zieht der Formverstoß nach den alternativ berufenen Rechtsordnungen unterschiedliche Folgen nach sich, o ist die mildeste Sanktion anzuwenden (RGZ 133, 161 ff). Fehlt es im Recht des Vornahmestaates an Formvorschriften (›Formenleere‹), weil diesem Recht das betr Rechtsgeschäft unbekannt ist (zur GmbH-Anteilsübertragung in der Schweiz Weller, Der Konzern 08, 256), so ist allein das Geschäftsstatut maßgeblich (BGH NZG 05, 41; Bambg FamRZ 02, 1120; KG FamRZ 93, 1363).
Rn 10
Nach der hM ist die Alternativität abdingbar, so dass aufgrund Parteivereinbarung die Formwirksamkeit im Wege der Rechtswahl auch nur dem Geschäfts- oder nur dem Ortsstatut unterstellt werden kann (BGHZ 57, 337; Karlsr RIW 93, 505; MüKo/Spellenberg Rz 68; Grüneberg/Thorn Art 11 ROM I Rz 4: allerd nur, soweit auch Vertragsstatut frei wählbar ist; aA BeckOK/Mäsch Rz 10 u unter Berufung auf den favor negotii Soergel/Kegel Rz 2 f; Jayme NJW 72, 1618 [BGH 03.12.1971 - V ZR 126/69]). Umstr ist, ob die Parteien statt des Orts- oder Geschäftsstatuts auch eine dritte Rechtsordnung zum Formstatut bestimmt können (so MüKo/Spellenberg Rz 68; Looschelders Rz 23; v Bar II § 4 Rz 597; aA Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 207).
Rn 11
Ob die Rechtswahl ihrerseits formbedürftig ist, soll sich nach Art 3 V ROM I analog richten (Looschelders Rz 25 u Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 212 zu ex Art 27 IV). Ist dies nicht der Fall, so kann zu prüfen sein, ob die Wahl eines bestimmten Geschäftsstatuts eine konkludente Abwahl des Ortsrechts enthält (vgl BGH NJW 72, 385; BGHZ 57, 340; MüKo/Spellenberg Art 11 ROM I Rz 39; Erman/Hohloch Rz 9; Staud/Winkler v Mohrenfels Rz 211).
III. Vornahmeort.
Rn 12
Vornahmeort ist der Ort, an dem die Parteien, die für den Abschluss des Rechtsgeschäfts erforderlichen Willenserklärungen abgeben (AG Berlin-Schöneberg StAZ 02, 81 [OLG Schleswig 04.10.2001 - 2 W 163/01]; MüKo/Spellenberg Rz 125), was bei Nutzung einer Videokonferenz oder des Internets der Aufenthaltsort der Eheschließenden ist (Köln StAZ 22, 214; VG Düsseldorf NZFam 22, 377; VG Augsburg BeckRS 22, 15351). Auf den Ort des Zugangs kommt es daher nicht an (KG IPRax 94, 217; Stuttg OLGZ 81, 164). Auch ist es unerheblich, ob der Ort nur vorübergehend oder ausschl zum Zwecke des Geschäftsabschlusses, etwa mit der Absicht der Kosteneinsparung, aufgesucht wird (RGZ 62, 381 f; Ddorf RIW 89, 225; Stuttg RPfl 82, 137; Frankf WM 81, 948; LG München I FamRZ 99, 1307; Soergel/Kegel Rz 43; aA Geimer DNotZ 81, 410; Winkler NJW 72, 981). Ist aufgrund des Geschäftsstatuts sachrechtlich eine Vornahme im Ausland untersagt, wie dies teilw für Vorgänge unter dem Gesellschaftsstatut angenommen wird (nach Hambg NJW-RR 93, 1317 für Hauptversammlung deutscher Aktiengesellschaft; aA Biehler NJW 00, 1244 f; Bungert AG 95, 26; v Bar/Grothe IPRax 94, 269 [OLG Hamburg 07.05.1993 - 2 Wx 55/91]; Gesellschafterversammlung einer GmbH ist dagegen inzwischen unstr zulässig, Ddorf RIW 89, 225; Schervier NJW 92, 597), so kann es ohnehin nicht zum wirksamen Vertragsschluss und der Relevanz der Ortstatuts kommen. Hält das Ortsrecht keine Formvorschriften bereit, weil es das vorzunehmende Rechtsgeschäft nicht kennt (Formenleere, zB Erbvertrag in Frankreich und Italien), so ist die Heranziehung von Formvorschriften eines in Funktion und Ausgestaltung vergleichbaren Rechtsinstituts zu versuchen; ist auch auf diesem Wege keine Regelung zu ermitteln, so geht die Verweisung auf das Ortsrecht ins Leere und es verbleibt beim Geschäftsrecht (RGZ 160, 229 f; Schlesw FamRZ 12, 132; KG FamRZ 93, 1363 f; MüKo/Spellenberg Rz 137; Soergel/Kegel Rz 19, 23; Lorenz IPRax 94, 196).
Rn 13
Bei Distanzgeschäften (Vertragsschlüsse über die Grenze hinweg) reicht nach II schon, dass eines der beiden Ortsstatute den Vertrag für formwirksam hält (BGHZ 121, 235 zur Gültigkeit einer formlosen Bürgschaftserklärung). Bei einseitigen Rechtsgeschäften kann II nicht eingreifen, weil hier nicht die Abgabeorte mehrerer Erklärungen divergieren, sondern allenfalls Abgabe und Zugangsort (dazu Rn 12) derselben Erklärung.
Rn 14
Bei Stellvertretergeschäften ist Vornahmeort nach III ausschl der Aufenthaltsort des Vertreters (vgl BGHZ 121, 235; VG Magdeburg BeckRS 20, 12578). Auf einseitige Rechtsgeschäfte ist III analog anzuwenden (Erman/Hohloch Rz 31). Beim Boten dagegen ist Vornahmeort der Über...