Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
Gesetzestext
1Wird ein Vertrag zwischen Personen geschlossen, die sich in demselben Staat befinden, so kann sich eine natürliche Person, die nach den Sachvorschriften des Rechts dieses Staates rechts-, geschäfts- und handlungsfähig wäre, nur dann auf ihre aus den Sachvorschriften des Rechts eines anderen Staates abgeleitete Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit berufen, wenn der andere Vertragsteil bei Vertragsabschluss diese Rechts-, Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit kannte oder kennen musste. 2Dies gilt nicht für familienrechtliche und erbrechtliche Rechtsgeschäfte sowie für Verfügungen über ein in einem anderen Staat belegenes Grundstück.
A. Einführung.
I. Einordnung und Auslegung.
Rn 1
Bei Art 12 handelt es sich um eine Ausn zu Art 7, die kollisionsrechtlichem Verkehrsschutz Rechnung tragen soll. Der Schutz nicht (voll) geschäftsfähiger Personen wird dem Geschäftsinteresse gutgläubiger Vertragspartner untergeordnet, wenn die Kontrahierenden sich in demselben Staat aufhalten. Mit dem Recht des Abschlussortes wird nicht – wie etwa in ex Art 31 II bzw 10 II ROM I – ein einer Partei vertrautes, sondern ein neutrales Recht zur Grundlage des Vertrauensschutzes gemacht, auf das sich beide Parteien durch ihre Anwesenheit und die dadurch möglichen Erkundigungen gleichermaßen einstellen können. Ebenso wie im internationalen Verbraucherschutzrecht sinkt das kollisionsrechtliche Schutzniveau auch hier, wenn das Gebiet des vertrauten Umweltrechts körperlich verlassen wird. Die Regelung als missglückt anzusehen, sie auf dieser Grundlage durchgängig restriktiv auszulegen und nach Möglichkeit zu reduzieren (Nachw bei BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 2), ist daher nicht gerechtfertigt; Missbräuchen lässt sich mit Hilfe des Merkmals der Gutgläubigkeit entgegenwirken. Immobilien-, familien- und erbrechtliche Geschäfte sind ausgenommen, weil ihnen für die betroffene Person besondere und für den Verkehrsschutz geringe Bedeutung zukommt. Für den Bereich des internationalen Schuldvertragsrechts wird Art 12 durch Art 13 ROM I verdrängt, womit seine Bedeutung auf die Verfügung über Mobilien und inländische Grundstücke beschränkt ist (MüKo/Spellenberg Rz 10: ggf auch darüber hinaus).
Rn 2
Bei der Auslegung ist zu beachten, dass Art 12 S 1 auf Art 11 EVÜ zurückgeht, dessen international einheitliche Auslegung und Anwendung anzustreben ist (Art 18 EVÜ). Das ist (wie ex Art 36 für das internationale Vertragsrecht ausdrücklich festlegte, auch hier) zu berücksichtigen, obwohl der Anwendungsbereich des Art 12 über das im EVÜ geregelte Schuldvertragsrecht hinausgeht. Über entspr Kollisionsregeln in anderen Staaten informiert Staud/Hausmann Rz 11. S 2 hat demgegenüber keinen staatsvertraglichen Ursprung und ist auf Grundlage des deutschen Rechts auszulegen.
II. Ähnliche Vorschriften.
Rn 3
Parallelnormen zu Art 12 sind neben dem identischen Art 13 ROM I die Art 16 u 17b II 2: Art 12 hebt zugunsten des Verkehrsschutzes Beschränkungen der allg Rechts- und Geschäftsfähigkeit nach Art 7 auf, Art 16 u 17b II 2 heben zugunsten des Verkehrsschutzes die für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner nach Art 14, 15 oder 17b I bestehenden Beschränkungen der Verpflichtungs- und Verfügungsmacht auf. Allerdings ist Art 12 allseitig ausgestaltet, während Art 16 u 17b II 2 in erster Linie bzw nur den inländischen Rechtsverkehr schützen (zur beschränkten Analogiefähigkeit s Art 3 EGBGB Rn 32).
Rn 4
Art 91 II WG, 60 II ScheckG und 19 KSÜ (dazu unten Rn 16) enthalten verkehrsschützende Sonderregelungen, die vorgehen.
B. Anknüpfungsgegenstand.
I. Subjektiver Anwendungsbereich.
Rn 5
Art 12 ist angesichts seiner systematischen Stellung im Zweiten Abschnitt auf natürliche Personen beschränkt (BGH NJW 98, 2453 [BGH 12.05.1998 - XI ZR 219/97]). Auf juristische Personen ist er analog anzuwenden (MüKo/Spellenberg Rz 9, 26; Art 13 ROM I Rz 51; Looschelders Rz 11; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 37; Bausback DNotZ 96, 259 zum Erwerb inländischer Grundstücke; offengelassen in BGH NJW 98, 2452 [BGH 23.04.1998 - III ZR 194/96] zur beschränkten Fähigkeit zum Abschluss von Außenhandelsverträgen), was insb bei fehlender Rechtsfähigkeit oder Teilrechtsfähigkeit nach dem engl ultra vires Grundsatz relevant wird (Erman/Hohloch Rz 4).
II. Objektiver Anwendungsbereich.
1. Art der Geschäfte.
Rn 6
Art 12 hilft nur insofern über Mängel der Rechts- und Geschäftsfähigkeit hinweg, als hieran die Wirksamkeit eines Vertrages scheitern würde. Der Begriff ›Vertrag‹ ist unbesehen von dem ohnehin nur Schuldverträge betreffenden, zunächst nicht auf deutsch abgefassten Art 11 EVÜ übernommen worden, so dass ihm nicht ohne weiteres eine Einschränkung auf Verträge iSd BGB entnommen werden kann. Auf einseitige Rechtsgeschäfte ist Art 12 daher nach hM analog anzuwenden (Grüneberg/Thorn Art 13 ROM I Rz 3; Erman/Hohloch Rz 8; Kegel/Schurig § 17 I 1d; Staud/Hausmann Rz 25; Soergel/Kegel Rz 20; Schotten DNotZ 94, 671; aA Palandt/Heldrich 67. Aufl Rz 2).
Rn 7
In 2 findet sich allerdings eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf bestimmte Wirkungsstatute, nämlich Verkehrsgeschäfte: Es darf sich nicht um ein familien- oder erbrechtliches Geschäft handeln (zB Verlobung, Ehevertrag, Adoption, Erbvertrag...