Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
1. Art der Geschäfte.
Rn 6
Art 12 hilft nur insofern über Mängel der Rechts- und Geschäftsfähigkeit hinweg, als hieran die Wirksamkeit eines Vertrages scheitern würde. Der Begriff ›Vertrag‹ ist unbesehen von dem ohnehin nur Schuldverträge betreffenden, zunächst nicht auf deutsch abgefassten Art 11 EVÜ übernommen worden, so dass ihm nicht ohne weiteres eine Einschränkung auf Verträge iSd BGB entnommen werden kann. Auf einseitige Rechtsgeschäfte ist Art 12 daher nach hM analog anzuwenden (Grüneberg/Thorn Art 13 ROM I Rz 3; Erman/Hohloch Rz 8; Kegel/Schurig § 17 I 1d; Staud/Hausmann Rz 25; Soergel/Kegel Rz 20; Schotten DNotZ 94, 671; aA Palandt/Heldrich 67. Aufl Rz 2).
Rn 7
In 2 findet sich allerdings eine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf bestimmte Wirkungsstatute, nämlich Verkehrsgeschäfte: Es darf sich nicht um ein familien- oder erbrechtliches Geschäft handeln (zB Verlobung, Ehevertrag, Adoption, Erbvertrag, Erbverzicht) und nicht um eine Verfügung über ein im Ausland belegenes Grundstück. Mangels staatsvertraglichen Hintergrunds des S 2 ist ›Verfügung‹ iSd deutschen Sachrechts zu verstehen. Bei Rechtsordnungen, die nicht zwischen dinglichem und obligatorischem Rechtsgeschäft unterscheiden, ist nach Möglichkeit eine Aufspaltung vorzunehmen; gelingt dies nicht, so ist insgesamt 1 anzuwenden (Looschelders Rz 27; Staud/Hausmann Rz 48). Inländische Grundstücke unterstehen nach dem klaren Wortlaut dem 1. Für Schenkungen wird eine analoge Anwendung des S 2 vertreten (Fischer 42; aA Looschelders Rz 26).
2. Fehlende Fähigkeiten.
Rn 8
Als Anknüpfungsgegenstand nennt Art 12 Rechts-, Geschäfts- (Definition s Art 7 EGBGB Rn 5 ff) und Handlungsfähigkeit. Das deutsche Sachrecht kennt eine ›Handlungsfähigkeit‹ als Rechtsbegriff nicht; die Deutung ist daher unklar. Teilweise werden darunter familienrechtliche Grenzen gesetzlicher Vertretungsmacht für natürliche Personen verstanden, zB von Eltern, Betreuern oä (Erman/Hohloch Rz 11) teilweise auch Beschränkungen von Ehegatten bei der Eingehung bestimmter Rechtsgeschäfte (Grüneberg/Thorn Art 13 ROM I Rz 6), was beides als Überspannung des auf ein Übersetzungsproblem aus dem EVÜ zurückgehenden Begriffes kritisiert wird (MüKo/Spellenberg Rz 15 iVm Art 13 ROM I Rz 36; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 22). Das kann jedoch insoweit dahinstehen, als auch von der Gegenansicht – unter Rückgriff auf eine Analogie – die Grenzen der gesetzlichen Vertretungsmacht entspr Art 12 behandelt werden (MüKo/Spellenberg Rz 15 iVm Art 13 ROM I Rz 36; Looschelders Rz 15; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 39; Soergel/Kegel Rz 14f); in Bezug auf die ehebedingten Verpflichtungs- und Verfügungsbeschränkungen wird die Analogie überwiegend aber abgelehnt und stattdessen direkt oder analog auf Art 16 zurückgegriffen (HK/Staudinger Rz 7; Erman/Hohloch Rz 11; Looschelders Rz 16; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 41; Staud/Hausmann Rz 35; aA LG Aurich FamRZ 90, 776 f; Fischer 171; Liessem NJW 89, 497, 500; Hanisch IPRax 87, 50f). Das Vertrauen auf Bestand und Umfang einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht wird nicht durch Art 12 geschützt, auch nicht analog (MüKo/Spellenberg Rz 15 iVm Art 13 ROM I Rz 50; Looschelders Rz 15; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 39; Staud/Hausmann Rz 33); soweit für das Vollmachtstatut an den Gebrauchsort angeknüpft wird (s Art 8 V; Vor Art 7 bis 12 EGBGB Rn 10) ist dem Verkehrsschutz bereits dadurch Rechnung getragen.
Rn 9
Die Verwendung des Begriffes ›berufen‹ ist nicht rechtstechnisch zu verstehen; ausgeschlossen werden nicht nur Einreden, sondern Einwendungen jeglicher Art (Looschelders Rz 22; Kropholler § 42 I 3a).
Rn 10
Da Art 12 keinen allg Vertrauensschutz in Bezug auf die Gültigkeit von internationalen Rechtsgeschäften gewährt, ist er nicht analog auf Willensmängel oder die Partei- und Prozessfähigkeit einer Person anzuwenden (Looschelders Rz 17; BeckOK/Mäsch Art 13 ROM I Rz 17, 20; Soergel/Kegel Rz 17 ff; für Parteifähigkeit ausl juristischer Personen aber Staud/Hausmann Rz 38). Der BGH behilft sich in diesen Fällen mit analoger Anwendung des § 50 II ZPO (NJW 86, 2194 [BGH 21.03.1986 - V ZR 10/85]).