Rn 22
Zur Anknüpfung von Vormundschaft, Betreuung u Pflegschaft existieren mehrere ggü dem nationalen Recht vorrangige Rechtsquellen. Deren Anwendungsbereiche sind unterschiedlich kongruent zu Art 24, sodass dieser nicht umfassend, sondern lediglich teilw u mit unterschiedlichem Geltungsbereich verdrängt wird (Thorn/Varón Romero IPRax 21, 15, 20 ff). Zu differenzieren ist zwischen bilateral weitgehender Verdrängung im Verhältnis zum Iran (u. Rn 23), partiellem Vorrang von als loi uniforme konzipierten Rechtsinstrumenten zum Minderjährigenschutz (u. Rn 24 ff), dem Erwachsenenschutz sowie der Pflegschaft über Volljährige oder unbekannte Beteiligte (u. Rn 27).
I. Bilaterale Regelung im Verhältnis zum Iran.
Rn 23
Im Verhältnis zum Iran ist vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung das deutsch-iranische Niederlassungsabk vom 17.2.29 (RGBl 1930 II 1006; BGBl 55 II S 829; Wagner FamRZ 22, 405, 412). Nach dessen Art 8 III bleiben die Angehörigen der Vertragsstaaten ihren heimischen Gesetzen unterworfen. Nach Nr 2 des Schlussprotokolls werden vom Abk ua ›Vormundschaft u Pflegschaft sowie Entmündigung‹ umfasst, wobei an die Stelle der Entmündigung die Betreuung getreten ist. Bzgl iranischer Staatsangehöriger führt die Anknüpfung ins iranische Sachrecht. Dies gilt indes nicht für Personen, die außer der iranischen Staatsangehörigkeit auch die deutsche besitzen (München FamRZ 10, 1280, 1281; Gojowczyk FamRZ 20, 1615, 1616). Auch Flüchtlinge sowie Asylbewerber u -berechtigte werden nicht erfasst (MüKo/Lipp Rz 17). Für diese verbleibt es bei Art 24, soweit diesem nicht – für Vormundschaft u Pflegschaft über Minderjährige – andere Rechtsinstrumente vorgehen. Zur Betreuung ist jedoch die spezielle Regelung in Art 24 II – dh alternative Berufung des deutschen Rechts bei Inlandsaufenthalt – auch auf einen iranischen Staatsangehörigen, der sich im Inland aufhält, anwendbar. Art 8 III 2 des deutsch-iranischen Abk gestattet den Vertragsstaaten eine solche Ausnahmeregelung.
II. Vormundschaft und Pflegschaft über Minderjährige.
Rn 24
Das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden u das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA) ist am 17.9.71 für die BRD in Kraft getreten (Art 21 Rn 15) u zum 1.1.11 vom vorrangig anzuwendenden Kinderschutzübereinkommen (KSÜ; BRDrs 564/20 S 432) abgelöst worden, s IPR-Anh 9.
Rn 25
Für die Mitgliedstaaten der EU ist die Brüssel IIb-VO anwendbar (Ausn Dänemark ErwGr 96). Wie sich aus Art 1 I lit b, II Brüssel IIb-VO ergibt, erfasst sie unter dem Oberbegriff ›elterliche Verantwortung‹ alle Schutzmaßnahmen iSd KSÜ u ist mit diesem umfassenden Anwendungsbereich im Verhältnis ihrer Mitgliedstaaten vorrangig ggü dem KSÜ (Art 97 Brüssel IIb-VO). Dies gilt insb auch für die Vormundschaft, die Pflegschaft u entspr Rechtsinstitute (Art 1 II lit b Brüssel IIb-VO). Auch staatliche (behördliche) Schutzmaßnahmen (zB Inobhutnahme, Unterbringung) werden erfasst; EuGH C-435/06 C, FamRZ 08, 125 = ECLI:EU:C:2007:714; Dutta FamRZ 08, 835; Pirrung FS Kropholler [08], 399, 409. Da der Vorrang der VO ggü dem KSÜ u dem MSA lediglich im Verhältnis der oa Mitgliedstaaten gilt, bestand er allerdings nicht im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des KSÜ bzw des MSA, die keine Mitgliedstaaten der VO sind – dies sind nur noch die Türkei (bis 1.2.17) u Macao (Staud/Pirrung Vorbem Art 19 EGBGB Rz C 211). Entsprechendes gilt für das KSÜ (zu Dänemark Karlsr FamRZ 16, 248).
Rn 26
Die Brüssel IIb-VO regelt das anzuwendende materielle Recht nicht. Fraglich ist daher, ob in Verfahren, für welche sich die internationale Zuständigkeit aus der Brüssel IIb-VO ergibt, das Statut für Vormundschaft u Pflegschaft über Minderjährige nach dem KSÜ oder unmittelbar über Art 24 anzuknüpfen ist. Ersteres ist anzunehmen. Art 24 ist nicht anwendbar. Das Haager Kinderschutzübereinkommen vom 19.10.96 (KSÜ) ist für Deutschland am 1.1.11 Kraft getreten (s IPR-Anh 9).
III. Betreuung und Pflegschaft über Volljährige oder unbekannte Beteiligte.
Rn 27
Das Haager Übereinkomme über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.00 (ErwSÜ) ist am 1.1.09 in Kraft getreten. Es hat Vorrang vor Art 24 (BRDrs 564/20 S 433; Wagner FamRZ 22, 405, 412). Vertragsstaaten sind außer Deutschland (BGBl 07 II 323), Belgien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Lettland, Monaco, Österreich, Portugal, die Schweiz, Tschechien, Vereinigtes Königreich (beschränkt auf Schottland) u Zypern. Zur Ausführung besteht das G zur Umsetzung des Haager Übereinkommens vom 13.1.00 über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 17.3.07 (ErwSÜ-AusfG, BGBl 07 I 314. – Näher Röthel/Woitge IPRax 10, 409 ff; Gojowczyk FamRZ 20, 1615 ff). Das Üb soll den grenzüberschreitenden Schutz von Erwachsenen (dh Personen über 18 Jahren, Art 2; übersehen von Karlsr FamRZ 15, 1820 abl Anm von Hein), die aufgrund einer Beeinträchtigung oder Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten (Behinderung, Krankheit; LG Cottbus FamRZ 18, 1693 m Anm Heiderhoff [Demenz]) nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen, sicherstellen. Vormundschaft wg Minderjährigkeit gehört nicht dazu (BGH NJW 18, 613 = FamRZ 18, 457 m zust Anm Hüßtege). De...