Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
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Zu solchen korrekturbedürftigen Verwerfungen kann es kommen, (a) wenn ein Fall mehrere Rechtsfragen aufwirft, die unterschiedlich zu qualifizieren sind und unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen (Depeçage ieS, s.o. Rn 33), (b) wenn Vor- und Hauptfrage unterschiedlichen Rechten unterliegen (s.o. Rn 46) oder (c) wenn ein Statutenwechsel zu einem Nacheinander verschiedener Rechtsordnungen führt (s.o. Rn 39 ff). Die Disharmonie der in diesen Situationen aufeinander treffenden Normen kann mehr oder weniger deutlich sein: Ein offener Widerspruch liegt etwa bei einander widersprechenden Kommorientenvermutungen in den Personalstatuten mehrerer Verstorbener vor (s Art 9 EGBGB Rn 10). Die meisten Wertungswidersprüche sind aber auf den ersten Blick bei fremden Rechten weniger gut erkennbar; bereits ihre Feststellung setzt eine ansonsten bei der Fallbearbeitung ungewohnt weite Sicht auf die in Rede stehenden Rechtsordnungen insgesamt, jedenfalls über ihren kollisionsrechtlich berufenen Ausschnitt (dazu s.o. Rn 33) hinaus, voraus: Klassisches Bsp ist die fehlende Abstimmung von Güter- und Erbstatut (s Art 25 EGBGB Rn 7), die dazu führt, dass der überlebende Ehegatten weniger (›Normenmangel‹) oder mehr (›Normenhäufung‹) erhält als jede der beteiligten Rechtsordnungen für sich betrachtet ihm im Ganzen zubilligen würde. Zur Anpassung bei Auseinanderfallen von Güter- und Scheidungsstatut bzw Ehewirkungsstatut nach Statutenwechsel bei der Morgengabe Mörsdorf-Schulte ZfRV 10, 166. Modernes Bsp des sog Normenmangels ist wegen der fehlenden Abstimmung von Delikts- und Gesellschaftsrecht die Frage der persönlichen Haftung des beratenden Rechtsanwalts in einer in Deutschland praktizierenden engl LLP (Henssler/Mansel NJW 07, 1393, aA Triebel/Siny NJW 08, 1034). Sinn der Anpassung ist es, dem übereinstimmenden Inhalt beider Rechtsordnungen zum Zuge zu verhelfen; letztlich handelt es sich um eine teleologische Korrektur. Der Einzelne soll nicht aufgrund der Internationalität des Sachverhalts Nachteile erleiden, die ihn in reinen Inlandsfällen nicht träfen (Looschelders IPRax 06, 464). Zu beachten ist dabei, dass dies nicht zu einer Überspielung der einzelnen, durchaus bewusst nur auf einen bestimmten Anknüpfungsgegenstand beschränkten Anknüpfungsentscheidungen führen darf (vgl MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 593f). Nur eine durch die Anknüpfungsmechamismen des IPR zweckwidrig erzeugte Schieflage kann mit der Anpassung (Angleichung) zurechtgerückt werden. Hierfür stehen die kollisionsrechtliche und die sachrechtliche Methode zur Verfügung (BGH DtZ 93, 278; FamRZ 86, 347; BGHZ 56, 196; BayObLG StAZ 96, 41; Köln FamRZ 95, 1201; Looschelders Die Anpassung im IPR, 1995, 164 ff). Bei der ersteren wird der Verweisungsumfang einer der Kollisionsnormen zu Gunsten einer anderen teleologisch reduziert, bei der zweiten wird zwischen den zur Wahl stehenden Sachnormen interpoliert und eine an die grenzüberschreitende Situation angepasste neue Sachnorm geschaffen (Bsp s Art 10 EGBGB Rn 18), was man im Ansatz mit dem Vorgehen beim ›Auslandssachverhalt‹ (s.o. Rn 48) vergleichen können wird (Looschelders Vorbem zu Art 3–6 Rz 60). Die Entscheidung zwischen beiden Methoden muss aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall getroffen werden, wobei die hM die kollisionsrechtliche Methode bevorzugt (Erman/Hohloch Einl Art 3–47 Rz 57; v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 36 f; Kropholler § 34 IV 2d; Lüderitz Rz 198), während vermehrt die Auffassung vertreten wird, dass überwiegend (Looschelders Vorbem zu Art 3–6 Rz 60f) oder ausschl (MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 593 ff; Raape/Sturm 262) die sachrechtliche Methode anzuwenden sei, weil es sich bei der kollisionsrechtlichen Methode letztlich um eine Korrektur der Qualifikation (s.o. Rn 34) handele, die mit der Bestimmung der anwendbaren Rechte auch wertungsmäßig abgeschlossen sein sollte. Die Anpassung darf nicht weiter gehen, als zur Verwirklichung der gemeinsamen Inhalte beider Rechtsordnungen (duo conformes) erforderlich ist (Karlsr NJW-RR 06, 369; instruktiv Celle FamRZ 03, 1880; Looschelders IPRax 06, 465 mwN; Kegel/Schurig § 8 III 1).