Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Gesetzgeberische Einleitung.
Rn 1
Art 3 steht als gesetzgeberische Einf in das in Deutschland geltende IPR an der Spitze des zweiten Kapitels des EGBGB. Aus Anlass der Verdrängung für die Praxis wichtiger Teile des (vornehmlich, s Rn 14) in den ›Vorschriften dieses Kapitels‹ normierten autonomen IPR durch mehrere seit 2009 in Kraft getretene EU-Verordnungen ist die Vorschrift 2009 neu gefasst worden. Der als Klammerdefinition gegebenen Legaldefinition des IPR ist iSe Merkzettelgesetzgebung ein Hinweis auf die vorrangig zu prüfenden Regelungen des EU- und Völkerrechts vorangestellt worden, der, in der Reihenfolge ihres Inkrafttretens, insb die einzelnen EU-Verordnungen zum IPR aufzählt und jew um neu in Kraft getretene Verordnungen ergänzt wird. Neben der Auslagerung zuvor enthaltener Verweisungsgrundsätze zunächst in einen eigens geschaffenen Art 3a, der inzwischen in Art 4 aufgegangen ist, sind im Zuge der Neufassung von 2009 einzelne sprachliche Präzisierungen erfolgt, die ua verdeutlichen, dass Auslandsbezug eine Tatfrage ist (nicht mehr: ›Verbindung zum Recht eines ausl Staates‹) und dass nicht ganze ›Rechtsordnungen‹, sondern, der analytischen Methode des IPR entsprechend, nur das ›Recht‹ im jeweils sachlich berufenen Ausschnitt anwendbar ist.
II. Regelungsgegenstand des IPR.
1. Verweisungsvorschriften für Fälle mit Auslandsbezug.
a) Rechtsanwendungsrecht.
Rn 2
Das IPR liefert nicht die materielle Lösung des Falles, sondern ›verweist‹ lediglich auf ein Recht, nach dessen Vorschriften (›Sachvorschriften‹, die die Rechtsfrage selbst inhaltlich beantworten, dazu Art 4 II 1) dann die materielle Lösung zu erfolgen hat. Die Überschrift zu Art 3 aF lautete dieser übergeordneten Funktion entspr ›allgemeine Verweisungsvorschriften‹. Das IPR lässt sich als Meta-Recht auffassen, das gleichsam über den eigentlichen Regeln des Privatrechts schwebt und zwischen mehreren in Frage kommenden Rechten eine Auswahl trifft. Unterschiedliche Rechte kommen von vornherein nur in Betracht bei Fällen, die überhaupt Beziehung zu einem ausl Staat aufweisen (2. Hs). Im Hinblick auf das Aufeinandertreffen verschiedener Rechtsordnungen ist auch die Rede von ›Kollisionsrecht‹ (krit wegen Assoziation eines Konflikts zB v Bar/Mankowski IPR I, § 1 Rz 16). Die besondere Aufgabe des IPR ändert nichts an seiner Unterworfenheit unter das GG (BVerfG FamRZ 03, 361; BVerfG 68, 384; 63, 181; 31, 58; vgl dazu nur BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 21).
b) Kein Prozessrecht.
Rn 3
(Zu diesem vgl neben den ZPO-Kommentierungen zB Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 6 Ordner, Loseblatt 65. Aufl 22; Schack Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl 21; Geimer/Schütze Europäisches Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl 20; Rauscher (Hrsg) Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl 22 ff (5 Bde); nahezu vollst Abdruck sämtlicher Rechtsvorschriften bei Jayme/Hausmann). Keine Aussage trifft das IPR zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte und Behörden. Regeln hierzu finden sich ua vorrangig in der EuEheVO (dazu prakt bedeutsam der Leitfaden der Kommission www.ec.europa.eu/civiljustice/parental_resp/parental_resp_ec_vdm_de.pdf), in der EuUnthVO und in der EuGVO (seit 1.7.07 Erstreckung auch auf Dänemark aufgrund Parallelabk, ABl 2005 L 299/62). Das seit 1.1.10 im Verhältnis der EU zu Dänemark und Norwegen, seit 1.1.11 zur Schweiz und seit 1.5.11 zu Island neu gefasste (ABl 2007 L 339/3, dazu Wagner/Janzen IPRax 10, 298) Luganer Üb (BGBl 94 II 2660, 95 II 221, 96 II 223; Jayme/Hausmann Nr 152) enthält entspr Bestimmungen. IÜ ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus weiteren Staatsverträgen, sonst (vgl Nachrangregelung des § 97 FamFG) aus §§ 98 ff FamFG (dazu Althammer IPRax 09, 381) bzw den subsidiär analog heranzuziehenden Regeln zur örtlichen Zuständigkeit, insb den §§ 12 ff ZPO. Nach Änderung des § 119 I Nr 1 GVG sind bei Fällen m Auslandsbezug hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit auch in der Berufungsinstanz keine Besonderheiten mehr zu beachten. Zur PKH in Fällen m Auslandsbezug ausf Motzer FamRBInt 08, 16. Eine prozesskostenhilferechtliche Berücksichtigung niedrigerer Lebenshaltungskosten im EU-Ausland lehnt BGH NJW-RR 08, 1453 [BGH 10.06.2008 - VI ZB 56/07] ab. Gemeinsame Mindestvorschriften innerh der EU legt die RL zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug fest (ABl 2003 L 26/41, L 32/15). Die von der MediationsRL (ABl 2008 L 136/3) verlangten Rahmenregelungen zur Vollstreckbarkeit, Vertraulichkeit und Verjährungshemmung für Parteien mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in unterschiedlichen Mitgliedstaaten (außer Dänemark) sind umgesetzt im MediationsG (BGBl 12 I 1577). Hilfreich ist der Europäische Gerichtsatlas, abrufbar unter www.ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/index_de.htm. S.a. Schütze, Rechtsverfolgung.
Rn 4
Das in Fällen mit Auslandsbezug anzuwendende Verfahrensrecht wird nicht durch das IPR bestimmt, sondern ist grds das am Gerichtsort geltende Prozessrecht (BGH NJW-RR 93, 130; BayObLG FamRZ 95, 1210), wobei das vom IPR bestimmte materiell anwendbare Recht ausnahmsweise Modifikat...