Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Auslandsbezug.
Rn 10
Da Art und Intensität der in der Legaldefinition des ›IPR‹ im 2. Hs geforderten ›Verbindung zu einem ausländischen Staat‹ nicht näher umrissen werden, ist in dem Auslandsbezug ein verengendes Tatbestandsmerkmal für die Anwendung des IPR nicht zu sehen (Kegel/Schurig § 1 III; MüKo/Sonnenberger Rz 2; v Hoffman/Thorn § 1 Rz 21 ff; aA Grüneberg/Thorn Rz 2; Looschelders Rz 3). Letztlich weisen die besonderen Kollisionsnormen ohnehin jeweils nur einem einzigen bestimmten Merkmal, nämlich dem Anknüpfungspunkt (dazu s.u. Rn 36 ff), eine kollisionsrechtliche Bedeutung zu, so dass an dieser Stelle bei der Vorprüfung großzügig verfahren werden kann (Hamm FamRZ 99, 1426 und FG Prax 99, 55; Ddorf RIW 95, 1025). In reinen Inlandsfällen bedarf die Rechtsanwendung sicherlich keiner kollisionsrechtlichen Begründung (Lüderitz Rz 6).
II. Regelungsort.
Rn 11
Der Hinweis auf den Regelungsort des IPR in den ›Vorschriften dieses Kapitels‹ bezieht sich auf die Art 3 bis 46c EGBGB. Dies ist zu eng gefasst, denn es finden sich auch autonome internationalprivatrechtliche Regelungen außerhalb des EGBGB (s.u. Rn 14 ff). Die gesetzliche Definition lässt durch diesen Hinweis immerhin erkennen, dass es sich bei IPR nicht um internationales, sondern – unbenommen völker- und europarechtlicher Regelungen, auf die im 1. Hs hingewiesen wird – grds um nationales Recht handelt.
III. Anwendbares Recht.
1. Staatliches Recht.
Rn 12
Der Gesetzestext spricht nur davon, dass ein ›Recht‹ anzuwenden sei, und sagt damit streng genommen nicht, dass es sich dabei um die Rechtsordnung eines Staates handeln muss (aA MüKo/Sonnenberger Rz 5 und Looschelders Rz 5 zum Begriff ›Rechtsordnung‹ in der ursprünglichen Fassung des Art 3). Hiervon wird aber einhellig ausgegangen, wofür der Gesetzeswortlaut in der ursprünglichen Fassung eine gewisse Grundlage lieferte, da darin von einer ›Verbindung zum Recht eines ausländischen Staates‹ gesprochen wurde. Für die Staatlichkeit einer Rechtsordnung spielt die völkerrechtliche Anerkennung eines Staates, einer Regierung oder eines Gebietserwerbs aber keine Rolle (Kegel/Schurig § 1 IV; BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 1), sondern nur das Vorliegen der Staatsmerkmale und die faktische Durchsetzung eines Rechts, wie es etwa bei den palästinensischen Autonomiegebieten diskutiert wird (MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 118 mwN). Zum Staatenzerfall Nürnbg FamRZ 17, 698, zur Zuordnung besetzter/annektierter Gebiete Mankowski IPRax 17, 347. Sitten und Gebräuche bestimmter Volksgruppen können über das IPR ebenso wenig berufen werden (Köln NJW-RR 94, 1026 [OLG Köln 08.04.1994 - 20 U 226/92] zur Sitte der Roma; Grüneberg/Thorn Einl v Art 3 Rz 1; aA Hamm StAZ 95, 238 bzgl Kurden; nicht um Anwendung ausl Rechts sondern um Brauch als Indiz für tatsächl Prognose iRd Kindeswohlbestimmung geht es in Dresd FamRZ 03, 1862) wie die Regeln einer Religionsgemeinschaft (Köln FamRZ 02, 1481) oder Handelsgewohnheiten (zur sog lex mercatoria s.a. oben Rn 8), Regeln des Sports oder der Technik (dazu Röthel JZ 07, 755), es sei denn es liegt ein staatlicher Anwendungsbefehl vor, wie zB bei interreligiöser Rechtsspaltung (dazu Art 4 EGBGB Rn 19).
2. Privatrecht.
Rn 13
Grds beruft IPR Privatrecht. Die internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit blickt nicht in erster Linie auf Staats- sondern auf Parteiinteressen. Dennoch sollen Vorschriften des öffentlichen Rechts nicht von vornherein von der Anwendung ausgeschlossen sein (Grüneberg/Thorn Rz 4). Berufen sein können sie aber nur, wenn sie aus Sicht der lex fori Privatrecht funktional vertreten (Lüderitz Rz 75); iÜ bestimmt das dem Territorialprinzip folgende internationale öffentliche Recht, welchen Staates öffentliches Recht anzuwenden ist (Kegel/Schurig § 2 IV 1; § 1 VII 1b). Bei der internationalprivatrechtlichen Beurteilung kommt öffentliches Recht iRd Beantwortung öffentlichrechtlicher Vorfragen zur Anwendung, etwa bei der Bestimmung einer ausl Staatsangehörigkeit (s Art 5 EGBGB Rn 5), bei der Heranziehung ausl Straßenverkehrsvorschriften zur Beurteilung des Verhaltsmaßstabs im Rahmen deliktischer Ansprüche (s Art 17 ROM II) oder auch bei der Beurteilung der Qualifikation und Stellung einer ausl Urkundsperson zur Beantwortung der Substituierbarkeit der deutschen Formvorschriften (s Art 11 EGBGB Rn 20). In keinem dieser Fälle ist es allerdings die IPR-Norm, die über ihren Anknüpfungspunkt in das ausl öffentliche Recht verweist, sondern es handelt sich um datumsähnliche (dazu Rn 58) Einzelaspekte auf dem Weg zum oder bei der Anwendung des kollisionsrechtlich berufenen (Privat-)Rechts.