Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Anwendung von IPR.
Rn 28
Die Regeln des IPR sind vAw anzuwenden, nicht nur, wenn eine Partei sich darauf beruft (BGH RIW 08, 707; NJW 03, 2605; 96, 54). Offen bleiben kann die kollisionsrechtliche Entscheidung, wenn alle in Betracht kommenden Kollisionsnormen auf dasselbe Recht verweisen (BGH FamRZ 87, 463) oder wenn sämtliche möglicherweise anwendbaren Rechte zum selben Erg führen (BGH IPRax 05, 547; Wahlfeststellung unbeanstandet auch durch BGH JR 06, 340 [BGH 25.01.2005 - XI ZR 78/04] m zust Aufs Mörsdorf-Schulte 309 f; für Wahlfeststellung MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 623; Kegel/Schurig § 15 I; Schack Rz 948; anders noch BGH NJW 96, 54 [BGH 21.09.1995 - VII ZR 248/94]), auch wenn eines davon das deutsche Recht ist (MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 623 mN auch zur insow einschränkenden Rspr). Seit Erweiterung der Revisibilität (s Rn 58) spricht jdf nichts mehr gegen uneingeschränkte Wahlfeststellung.
II. Verdrängung des IPR.
Rn 29
Von vornherein verdrängt wird das IPR, soweit Einheitsprivatrecht anwendbar ist (s.o. Rn 7).
Rn 30
Ebenso unabhängig von den Regeln des IPR kommen Eingriffsnormen (lois d'application immédiate) zur Anwendung (dazu s Art 9 ROM I; Art 16 ROM II). Dabei handelt es sich um Sachnormen mit ›unbedingtem Anwendungswillen‹, die einen öffentlichrechtlichen Einschlag haben, als ›international zwingend‹ bezeichnet werden und damit durchsetzungskräftiger sind als einfach (intern) zwingende Normen idS, dass sie sich nicht nur ggü privatautonomen Regelungen der Parteien in Verträgen, sondern auch ggü Regelungen des Gesetzgebers in den Normen des IPR durchsetzen. Diese Eigenschaft kommt nur wenigen Normen von äußerster sozial- und wirtschaftspolitischer Bedeutung zu (vgl auch die Legaldef in Art 9 I ROM I), wobei unionsrechtlicher Ursprung ggf ein Argument zur Qualifizierung zwingender Vorschriften als Eingriffsnorm liefern kann, zumal bei starkem Gemeinschaftsbezug des Falles (Rn 17 aE; EuGH NJW 01, 2007 – Ingmar; obiter BGH NJW 06, 762 [BGH 13.12.2005 - XI ZR 82/05], dazu Mankowski RIW 06, 321; München IPRax 07, 322 [OLG München 17.05.2006 - 7 U 1781/06]; Hoffmann/Primaczenko IPRax 07, 173; abgrenzend Dathe NJOZ 10, 2196). Eingriffsnormen sind Regelungen des Wirtschaftsrechts, die nach ihrem Geltungswillen – vornehmlich als Veräußerungsverbote und Verfügungsbeschränkungen – in den Bereich des Vertragsstatuts hineinwirken (BGH NJW 98, 2452, 2453 [BGH 23.04.1998 - III ZR 194/96]). Erforderlich ist, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Vertragspartei gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch, nicht nur als mittelbarer Nebeneffekt öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden (BAG NZA 08, 761 [BAG 19.03.2008 - 5 AZR 435/07], 767/768). Das ist nicht auf den Bereich des Vertragsrechts beschränkt (BGH NJW 06, 230, 233 [BGH 01.12.2005 - III ZR 191/03]), für den es sich explizit aus Art 9 II Rom I ergibt. Inzwischen findet sich mit Art 16 Rom II auch für außervertraglichen Schuldverhältnisse eine ausdrückliche Normierung des Vorrangs von Eingriffsnormen. Eingriffsnormen der lex fori setzen sich stets durch. Ob und inwieweit ausländische Eingriffsnormen über ihre faktische Berücksichtigung hinaus unmittelbar als Recht zur Anwendung gelangen, ist umstr und wurde, mit Ausn des Abk über den Internationalen Währungsfonds (BGBl 52 II 637; dazu BGH NJW 94, 390 [BGH 08.11.1993 - II ZR 216/92] und ex Art 34 EGBGB 7. Aufl Rz 14), unter ex Art 34 wohl überwiegend verneint (s ex Art 34 EGBGB 7. Aufl Rz 9 ff). Bei Übereinstimmung in den rechtspolitischen Zielen und hinreichendem Bezug des Falles zu dem betreffenden Land werden ausl Eingriffsnormen aber angewandt (zB BGHZ 59, 82; MüKo/Martiny Art 34 Rz 158). Bei starkem Gemeinschaftsbezug ist zwingendes Recht, soweit mit ihm EU-RL umgesetzt werden, auch international zwingend (EuGH NJW 01, 2007 – Ingmar; Hoffmann/Primaczenko IPRax 07, 173). Eine weitergehende Beachtung ausl Eingriffsnormen ermöglicht Art 9 III Rom I (s dort). Anders als die Korrektur wegen op-Verstoßes (nach Art 6 EGBGB) erfolgt die Durchsetzung von Eingriffsnormen unbedingt, dh auch unabhängig davon, was das kollisionsrechtlich (an sich) anwendbare Recht vorsieht (instruktiv dazu im Kontext der Rom-I-VO GA Szpunar in EuGH Rs Nikiforidis C-135/15 Rz 68 -70).
III. Struktur von Kollisionsnormen.
Rn 31
Die Kollisionsnormen des Besonderen Teils des IPR (insb Art 7–46 EGBGB, Rom I-III, EuUnthVO iVm HUP, EuErbVO, EuGüVO, EuPartVO), die auch als ›Verweisungsnormen‹ bezeichnet werden, weisen eine besondere Struktur auf, die idealtypisch verwirklicht ist bei den sog allseitigen Kollisionsnormen: Jede Kollisionsnorm (zB Art 13, 40) ordnet einer abstrakt beschriebenen Klasse von Rechtsfragen, dem sog Anknüpfungsgegenstand (zB Eheschließung, Delikt) mittels Benennung eines abstrakt beschriebenen ›Anknüpfungspunktes‹ oder ›Anknüpfungsmomentes‹ (zB Staatsangehörigkeit, Tatort) ergebnisoffen eine bestimmte Rechtsordnung zu. Nach dem betreffenden Rechtsgebiet wird der entspr Ausschnitt aus der berufenen Rechtsordnung dann als Eheschließungs – oder Delikts ...