Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
1. Rechtsakte der EU (Nr 1).
Rn 23
Nr 1 hat wegen des schon aus europarechtlichen Gründen bestehenden Anwendungsvorrangs (BVerfGE 73, 339 [BVerfG 22.10.1986 - 2 BvR 197/83]; 52, 187 [BVerfG 25.07.1979 - 2 BvL 6/77]) von Unionsrecht vor autonomem Recht lediglich Hinweisfunktion. In Buchst a bis e nennt Abs 1 eigens iSe Merkzettelgesetzgebung jeden der inzwischen 7 unmittelbar geltenden Rechtsakte europäischen Kollisionsrechts, nämlich die VOen ROM I, II u III sowie die EuUnthVO, die EuErbVO sowie EuGüVO und EuPartVO (zu diesen s.o. Rn 18). Erfasst wird nur unmittelbar anwendbares Europarecht, dh insb Primärrecht und EU-VOen, nicht aber EU-RL als solche: Die zu ihrer Umsetzung ergangenen nationalen Vorschriften sind jedoch an Wortlaut und Zweck der umgesetzten RL auszurichten (EuGH NJW 00, 2572 – Océano) und unterliegen insoweit ebenfalls dem Auslegungsvorrang des EuGH (Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV). Letztlich kommt damit auch umgesetztem RLrecht Vorrang zu (aA Grüneberg/Thorn Rz 6); zur ›Unmittelbarkeit‹ der RLwirkung kraft Determinierung des UmsetzungsG vgl Streinz Europarecht 8. Aufl 08, § 3 VII 4 aE.
2. Völkerrechtliche Vereinbarungen (Nr 2).
Rn 24
Staatsvertragliche Regelungen, die nicht nur, wie zB das EVÜ, die Staaten zur Schaffung einer mehr oder weniger genau vorgegebenen Regelung verpflichten, sondern nach Transformation selbst Rechte und Pflichten für die Privatrechtssubjekte erzeugen, schaffen unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht. Dieses hat nach Nr 2 Vorrang vor dem EGBGB. Soweit – wie dies bisher der Fall ist – es sich nicht um allg Normen des Völkerrechts handelt, ergibt sich der Vorrang nicht schon aus Art 25 S 2 GG (BVerfGE 41, 120 [BVerfG 17.12.1975 - 1 BvR 548/68]). Ob der Vorrang nach Art 3 auch ggü autonomem Kollisionsrecht außerhalb des EGBGB gilt, ist umstr (dafür Erman/Hohloch Rz 9, dagegen unter Hinweis auf den Wortlaut Grüneberg/Thorn Rz 11–12). Die Vorrangregel des Art 3 kann nur für nach deren Inkrafttreten 1986 gesetztes autonomes Recht gelten und ist ihrerseits als einfaches Gesetzesrecht nach der lex-posterior-Regel durch eindeutige jüngere Vorschriften abdingbar; iÜ gilt die ungeschriebene Zweifelsregel von der völkerrechtsfreundlichen Auslegung autonomen Rechts (Mansel in: Leible/Ruffert, Völkerrecht und IPR, 2006, 110f) und es ist zu beachten, dass Staatsverträge als Spezialregelung aufzufassen sein können (vgl BTDrs 10/504, 36).
Rn 25
Die Konkurrenz mehrerer Staatsverträge kann in diesen selbst geregelt sein (zB Art 21 EVÜ). Sonst richtet sie sich nach allg Prinzipien: Es geht das speziellere Vertragswerk dem allg und sodann das jüngere dem älteren vor. Sind bei nur einem der in Betracht kommenden Staatsverträge mehrere Staaten, deren Recht vom Fall betroffen ist, Vertragspartei, so hat dieser Vorrang (Grüneberg/Thorn Rz 13).
Rn 26
Die Aufnahme einer staatsvertraglichen Regelung in das autonome Recht (Inkorporierung, Beispiele s.o. Rn 21) ändert nichts an ihrem Vorrang.