Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
1. Vorfragen.
Rn 46
Nicht vom Umfang der Verweisung erfasst sind Vorfragen (Erman/Hohloch Einl Art 3–47 Rz 47, 52). Vorfragen iwS tauchen immer dann auf, wenn eine Norm die Rechtsfolge einer anderen Norm als Voraussetzung verwendet. Es handelt sich um Rechtsverhältnisse, zu denen inzidenter Feststellungen zu treffen sind, zB die Frage der wirksamen Ehe iRd Beurteilung des Ehegattenerbrechts nach § 1931 BGB oder iRd der Anknüpfung des Kindschaftsstatuts nach Art 19 I 3. Ist die Vorfrage in einem anderen Verfahren bereits als Hauptfrage von einem Gericht entschieden worden, so tritt an die Stelle der Vorfragenanknüpfung diejenige der Bindung an die Entscheidung, die bei deutschen Entscheidungen grds zu bejahen ist und bei ausl Entscheidungen von deren Anerkennung abhängt (dazu s.o. Rn 6). Vorfragen gibt es sowohl im heimischen und fremden IPR als auch im heimischen und fremden Sachrecht. Im ersten dieser vier Fälle sprechen manche auch von ›Erstfragen‹ (v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 47 ff; Lüderitz Rz 137; dagegen zB MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 538; Grüneberg/Thorn Einl v Art 3 Rz 31 fasst auch den zweiten Fall unter ›Erstfrage‹). Stellen sich die Vorfragen im ausl Recht, so ist zu entscheiden, ob dessen IPR auch die Kollisionsnorm für die Anknüpfung der Vorfrage liefert (unselbständige Vorfragenanknüpfung) oder ob die Anknüpfung der Vorfrage nach dem Kollisionsrecht des Forumstaates zu beurteilen ist (selbständige Vorfragenanknüpfung). Stellt sich die Vorfrage im heimischen Recht, läuft beides auf dasselbe hinaus: Auf Erstfragen ist daher in jedem Fall das IPR des Forums anzuwenden.
Rn 47
Im Regelfall knüpft man nach der lex fori, dh selbständig an (BGH NJW 81, 1900 [BGH 12.03.1981 - IVa ZR 111/80]; AG Regensburg BeckRS 21, 39868 zur Scheidung als Vorfrage für die Namensführung). Das führt dazu, dass das betreffende Rechtsverhältnis vor deutschen Gerichten unabhängig davon, in welchem Zusammenhang es relevant wird bzw ob es als Haupt- oder Vorfrage auftaucht, stets gleich beurteilt wird und fördert damit den internen Entscheidungseinklang. Die unselbständige Anknüpfung nach der lex causae stellt nach hM die Ausnahme dar und fördert umgekehrt den internationalen Entscheidungseinklang zwischen den deutschen Gerichten und denjenigen des Staates des berufenen Rechts. Sie wird mithin insb dann bevorzugt, wenn es um Vorfragen staatsvertraglicher Kollisionsnormen geht (Karlsr FamRZ 03, 956), aber auch dann, wenn international hinkende Statusverhältnisse (Rechtsverhältnisse wie zB Ehe, Verwandtschaft oder Name, die in einem Staat als wirksam und in einem anderen Staat als unwirksam behandelt werden, s aber AG Regensburg BeckRS 21, 39868) vermieden werden sollen und wenn der Durchsetzbarkeit im Ausland im Einzelfall besondere Bedeutung zukommt (BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 71). Nach einer Ansicht soll bei Vorfragen im ausl IPR die unselbständige Anknüpfung die Regel sein (v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 71 u Nachw bei Grüneberg/Thorn Einl v Art 3 Rz 29). Insgesamt gilt für die Entscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Anknüpfung, dass Leitschnur die Auslegung der Norm zur Hauptfrage sein muss (Einzelfälle daher kommentiert unter den einzelnen Kollisionsnormen der Art 7 ff), da es sich bei der Beurteilung von inzidenter sich stellenden Rechtsfragen letztlich um eine Auslegungsfrage handelt (MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 541). Dies kann sogar dazu führen, im Einzelfall von dem Vorliegen des in der Hauptnorm dem Begriff nach geforderten Rechtsinstituts ganz abzusehen und einen analogen Sachverhalt ausreichen zu lassen (so ließ zB SozG Ddorf InfAuslR 96, 128 Doppelehe Marokkanischen Rechts genügen für § 34 I SGB). Zur Anknüpfung von Vorfragen im europäischen Kollisionsrecht s Bernitt 2010.
Rn 48
Kommt es auf die Staatsangehörigkeit einer Person an, so ist diese Vorfrage stets nach dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Anspruch genommen wird, zu beurteilen (s Art 5 EGBGB Rn 5). Dass familienrechtliche Vorfragen bei der Beurteilung einer fremden Staatsangehörigkeit nach dortigem IPR angeknüpft werden, ist dabei weniger eine Frage unselbständiger Anknüpfung (so zB BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 71) als eine Auswirkung dessen, dass es sich bei Staatsangehörigkeitsrecht um eine Frage öffentlichen Rechts handelt, das ohnehin territorial angeknüpft wird und daher hier letztlich nicht wegen kollisionsrechtlicher Berufung, sondern als Datum berücksichtigt wird (s Art 5 EGBGB Rn 8).
2. Auslandssachverhalt.
Rn 49
Auch bei der Subsumtion tatsächlicher Voraussetzungen der anzuwendenden Normen sind in Fällen mit Auslandsberührung Besonderheiten zu beachten. Zwar spielt es, wenn das anwendbare Recht einmal gefunden ist, für dessen Anwendung grds keine Rolle, in welchem Land sich die hierunter zu subsumierenden Umstände ereignen. Jedoch sind die Sachnormen einer jeden Rechtsordnung primär auf reine Inlandsfälle zugeschnitten (Looschelders Vorbem zu Art 3–6 Rz 53; Lorenz FamRZ 1987, 645 – Zweistufentheorie), so dass die Subsumtion ausl Vorgänge ggf eine nicht vorgesehene...