Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
1. Ermittlung fremden Rechts.
a) Ermittlungspflicht.
Rn 52
Nicht nur das IPR (s.o. Rn 28), sondern auch ein dadurch zur Anwendung berufenes ausl Recht ist vAw anzuwenden (BGH JZ 06, 340, 341, 342). Anders als deutsches Recht, einschl des EU-Rechts (BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 78) und des Rechts der ehemaligen DDR (BGH FamRZ 97, 496), muss der deutsche Richter ausl Recht aber nicht kennen. Sein Inhalt ist vAw zu ermitteln (§ 293 ZPO), dazu Rogoz, Ausl Recht im dt u engl Zivilprozess, 2008. Die Parteien trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit (Kindl ZZP 111 (98), 192 mwN). Es handelt sich aber nicht um eine (prozessuale) Beweisführungslast (BGH JR 06, 340; BGHZ 120, 342). Der Inhalt ausl Rechts ist nicht geständnisfähig und im Versäumnisverfahren nicht von § 331 I ZPO erfasst (Kobl IPRspr 02 Nr 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann § 293 ZPO Rz 13; BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 79). Übereinstimmenden Parteivortrag zum Inhalt ausl Rechts darf das Gericht nicht ohne weiteres als richtig zugrunde legen (BAG JZ 79, 647 [BGH 10.07.1979 - VI ZR 223/78]; BeckOK/Lorenz Einl IPR Rz 79; Schack Rz 626; aA BAG AWD 75, 521; Celle RIW 93, 587), jedoch kann der Umfang der Ermittlungspflicht durch den Vortrag beeinflusst, insb durch Unterlassung zumutbaren Vortrags gemindert werden (BGH JR 06, 340; BGHZ 118, 151, 164). Neben den von den Parteien beigebrachten Nachweisen können nach § 291 S 2 ZPO sämtliche dem Gericht zugängliche Erkenntnisquellen (Freibeweis) benutzt werden (BGH NJW 66, 298); das Gericht ist zu ihrer Ausschöpfung verpflichtet (BGH NJW 91, 1418 [BGH 21.01.1991 - II ZR 50/90]). Die Anforderungen an die Art und Weise der Ermittlung des fremden Rechts sind umso höher, je komplexer und fremdartiger das ausländische Recht ist (s.a. Mü NJW 17, 338 [OLG München 21.10.2016 - 10 U 2372/16]: bloße Internetrecherche über Reisehinweise über Verkehrsregeln nicht ausr). Als bekannt darf ausl Recht gelten, wenn eine Partei eine Auskunft des obersten Gerichts des betreffenden Staates vorlegt (BGH IPRspr 94 Nr 2).
Rn 53
Die Ausübung des richterlichen Ermessens hinsichtlich der Beweisaufnahme über das fremde Recht ist revisionsgerichtlich überprüfbar (BGH IPRspr 98 Nr 3; NJW 92, 2029 [BGH 30.04.1992 - IX ZR 233/90]). Zur Revisibilität seines Inhalts, s.u. Rn 58.
b) Erkenntnisquellen.
Rn 54
Die wichtigsten deutschsprachigen Hilfsmittel bei der Ermittlung fremden Kollisions- und Sachrechts sind die beiden vielbändigen Quellensammlungen Bergmann/Ferid Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht und Ferid/Firsching/Dörner/Hausmann Internationales Erbrecht, je Losebl, sowie Rieck Ausländisches Familienrecht, 2 Bde, Losebl, 6. Aufl 2010; Süß, Erbrecht in Europa, 2. Aufl 2008; v Bar Deliktsrecht in Europa, mehrbändige Landesberichte 1993/94; v Bar Sachenrecht in Europa, 4 Bde 1999–2001; Kropholler/Krüger/Riering/Samtleben/Siehr Außereuropäische IPR-Gesetze, 1999; die fortlaufend erscheinenden Slg ›Die deutsche Rspr auf dem Gebiet des IPR‹ (IPRspr) und ›Gutachten zum Internationalen Privatrecht‹ (IPG) sowie zahlr auslandsrechtliche Informationen passim insb in den Großkomm Staudinger Einzelbde zum EGBGB, 13./14. Bearb 2000 ff und Soergel, 12. Aufl 1996 Bd 10. Eine umfassende Bibliographie (Schrifttum, Rspr u Gutachten) bietet v Bar Ausl Privat- und Privatverfahrensrecht in deutscher Sprache, 9. Aufl 2013 m lfd Aktualisierung online, und eine ausf ›Auswahl wichtiger Erkenntnismittel des ausl IPR‹ MüKo/Sonnenberger Einl IPR Rz 319. Ergiebig sind auch Internetrecherchen ausgehend von www.jura.uni-sb.de/internet/, weitere Internetadressen nennt IPRax 98, 231 ff.
Rn 55
Nach dem Europäischen Abk v 7.6.68 betreffend Auskünfte über ausl Recht (BGBl 74 II 938; 75 II 300; 87 II 58; AusfG BGBl 74 I 1433; 90 I 2847) werden gerichtliche Ersuchen um Auskunft über das Recht eines fremden Staates nach Einreichung bei der deutschen Vermittlungsstelle von einer zentralen Stelle jenes Staates beantwortet (dazu Jastrow IPRax 04, 402). Bevorzugt greifen deutsche Gerichte aber auf im Einzelfall eingeholte Sachverständigengutachten zurück (dazu im Hinblick auf § 411a ZPO Jayme IPRax 06, 587 [AG Berlin-Hohenschönhausen 13.07.2005 - 17 C 10/05]), die Universitätsinstitute oder das Max-Planck-Institut für Ausl und Internationales Privatrecht in Hamburg und weitere Sachverständige (Übersicht bei Hetger RIW 03, 444 ff), für Notare auch das Deutsche Notarinstitut, erstatten. Die Gutachtenkosten sind von der unterlegenen Partei zu erstatten, andere gerichtliche Ermittlungskosten grds nicht, vgl Rühl RabelsZ 71 (2007) 572 f. Für nationale Justizbehörden bietet eine weitere Möglichkeit der Ermittlung des Rechts eines EU-Mitgliedstaates das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN), vgl Art 3 II Buchst B Entscheidung des Rates 2001/470/EG nF, dazu Fornasier ZEuP 10, 493 ff.
c) Nichtermittelbarkeit.
Rn 56
Da bei Nichtfeststellbarkeit des ausl Rechts ein non liquet ausscheidet (s.o. Rn 52), ist ein Ersatzrecht heranzuziehen: Die Rspr greift grds auf die deutsche lex fori zurück, insb, wenn starke Inlandsbeziehungen bestehen und die Beteiligten einer Anwen...