Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
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Da das fremde Recht so anzuwenden ist, wie der ausl Richter es anwenden würde, wenn er zu entscheiden hätte, ist bei einer Gesamtverweisung darauf zu achten, dass Unterschiede in der Qualifikation bestehen können. So werden etwa Ansprüche wegen Verlöbnisbruchs in Deutschland familienrechtlich (BGH IPRax 05, 546 [BGH 13.04.2005 - XII ZR 296/00]; Heimatrecht des Anspruchgegners), in Frankreich hingegen deliktsrechtlich qualifiziert. Leben verlobte Franzosen in Deutschland und kommt es hier zu einem Verlöbnisbruch, so liegt aufgrund der französischen deliktsrechtlichen Qualifikation eine Rückverweisung vor (Staud/Mankowski Anh Art 13 Rz 35 ff). Ebenso kann es durch die türkische scheidungsrechtliche Qualifikation der Frage der nachehelichen Namensführung einer Türkin zur Rückverweisung auf deutsches Namensrecht kommen (BGH IPRax 08, 137 [BGH 20.06.2007 - XII ZB 17/04] m Anm Henrich 121), was aber dann nicht der Fall ist, wenn türkisches IPR für die Wirkungen der Scheidung türkisches Sachrecht beruft, weil beide Ehegatten türkische Staatsangehörige sind (AG Regensburg BeckRS 21, 39868). Man spricht auch von ›Renvoi kraft abweichender Qualifikation‹. Kein Fall der abw Qualifikation liegt nach einer Ansicht vor, wenn das berufene Recht die Frage von vornherein völlig anders regelt, zB prozessual einstuft, wie anglo-amerikanische Jurisdiktionen dies mit Aufrechnung und Verjährung handhaben; denn dann sei der dortige Normenkomplex einschließlich seiner Kollisionsnormen wegen Fehlens funktioneller Kongruenz erst gar nicht von der deutschen Kollisionsnorm berufen (MüKo/Sonnenberger Rz 39 f; Looschelders Rz 10; Soergel/Lüderitz Anh Art 10 Rz 124). Die überwiegende Meinung unterscheidet aber nicht und lässt auch in diesen Fällen eine Rückverweisung zu (Kegel/Schurig § 10 VI; Kropholler § 24 II 1a; Soergel/Kegel Rz 13; Staud/Hausmann Rz 63). Wird der aus deutscher Sicht einheitliche Anknüpfungsgegenstand im Ausland aufgespalten (zumeist weil im Erbfall bewegliches und unbewegliches Vermögen unterschiedlich angeknüpft werden) und unterschiedlichen Rechten unterworfen, so kann diese Abweichung in der Qualifikation zu einer Teilrückverweisung führen (MüKo/Sonnenberger Rz 65).
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Vom Renvoi kraft anderer Qualifikation zu unterscheiden ist die in den zuletzt genannten Fällen der kollisionsrechtlichen Vermögensspaltung manchmal außerdem anzutreffende sog Qualifikations(rück)verweisung: Hier wird die Entscheidung darüber, ob es sich um bewegliches oder um unbewegliches Vermögen handelt, einem anderen Staat – idR dem Belegenheitsstaat – überlassen, also nur für den Qualifikationsvorgang selbst auf dieses andere Recht verwiesen. Für die Frage der Einordnung des Vermögens in die eine oder andere Kategorie kann es dann je nach Belegenheit des Grundstücks zu einer Qualifikationsrück- oder -weiterverweisung kommen (BGHZ 144, 251; 24, 352; LG Wiesbaden FamRZ 73, 657 f; MüKo/Sonnenberger Rz 59 ff; v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 17a; Schurig IPRax 90, 389 [OLG Karlsruhe 29.06.1989 - 11 W 86/89]).