Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
Rn 12
Eine Sachnormverweisung findet aber auch statt, wenn eine Gesamtverweisung dem Sinn der betreffenden Verweisung, dh der anwendbaren Kollisionsnorm des Besonderen Teils des IPR widerspricht (I 1 Hs 2). Dies ist durch Auslegung zu ermitteln, bei der der Ausnahmecharakter der Sachnormverweisung zu beachten ist (BGH NJW 87, 681; Grüneberg/Thorn Rz 6; Erman/Hohloch Rz 17; Soergel/Kegel Rz 21). Dass es idS jeweils um sachliche Erfordernisse des maßgebenden Rechts gehe, nimmt die hM etwa bei Art 11, 23 1 und 26 an (Begr RegE BTDrs 10/504, 35 und 38; v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 112; Kropholler § 24 Ic; Looschelders Rz 15; aA zu Art 11 und 23 Kegel/Schurig § 10 V), nicht aber bei Art 10 (BGH FamRZ 99, 570).
Rn 13
Art 11 und Art 19 sind Bspe für Normen, die auf Begünstigung bestimmter rechtlicher Erfolge (Formwirksamkeit, Feststellung einer Vaterschaft) abzielen und bei denen man daher gestützt auf die sog Sinnklausel des I 1 Hs 2 die Entscheidung über den Umfang der Verweisung von einem Vergleich der unterschiedlichen, mittels Gesamt- oder Sachnormverweisung berufbaren Sachrechte abhängig machen kann (BTDrs 10/5632, 39; KG NZFam 21, 45 m Anm Mankowski zu Art 19; Nürnbg FamRZ 05, 1697; Stuttg FamRZ 01, 246; MüKo/Sonnenberger Rz 27; Erman/Hohloch Rz 17, 19; Kegel/Schurig § 10 V, s.a. Art 11 EGBGB Rn 17 u Art 19 Rn 11). So spricht Art 19 grds eine Gesamtverweisung aus, nach dem Sinn und Zweck der dortigen Mehrfachanknüpfung aber dann nicht, wenn eine Sachnormverweisung zur Feststellung einer Vater-Kind-Beziehung führt, das nach Weiter- oder Rückverweisung berufene Statut dagegen nicht (BGH NZFam 22, 253). Bei Art 40 I 2 dient die Alternativität der Begünstigung des Verletzten, so dass dieser Fall aufgrund der Sinnklausel als Sachnormverweisung angesehen wird (MüKo/Sonnenberger Rz 27; ähnl v Hein ZvglRWiss 99 (2000) 264), während Art 40 I 1 u II der Grundregel des Art 4 I 1 Hs 1 folgen und Gesamtverweisungen aussprechen (s.a. Rn 16 aE; MüKo/Junker 4. Aufl Art 40 Rz 236 ff; v Bar/Mankowski IPR I, § 7 Rz 230 f; v Hein ZVglRWiss 99 (2000) 260 ff; Looschelders VersR 99, 1324; aA Huber JA 00, 73; v Hoffmann IPRax 96, 7).
Rn 14
Weiter würde es dem Sinn der Verweisung widersprechen, bei akzessorischen Anknüpfungen von einer Gesamtverweisung auszugehen, wenn die Akzessorietät gewährleisten soll, dass verschiedene Fragen nach derselben Rechtsordnung zu beurteilen sind (Gleichlauf). Denn dieses Erg wäre gefährdet, wenn das Zielrecht über die seinerseits ggf unterschiedlichen Anknüpfungsnormen für die verschiedenen Fragen letztlich doch zu unterschiedlichen Rechtsordnungen führen würde (MüKo/Sonnenberger Rz 28; Grüneberg/Thorn Rz 9; Kropholler § 24 II 2d; Looschelders Rz 24; v Hoffmann/Thorn § 6 Rz 114). Bspe sind Art 41 II 2 Nr 1, insb der dort angeordnete Gleichlauf von Vertrags- und Deliktsstatut (Palandt/Heldrich 67. Aufl Art 41 Rz 2; v Hein ZVglRWiss 99 (2000) 274; Looschelders VersR 99, 1324), sowie Art 38 I, 39 II, 40 IV, 44 und 45 II; im Anwendungsbereich der ROM II hat sich die Frage wegen der in Art 24 ROM II allg angeordneten Sachnormverweisung erledigt. Nicht um einen eine Sachnormverweisung auslösenden Gleichlauf ging es bei den familienrechtlichen Verweisungen, die vielfach auf das sog Familienstatut des Art 14 zurückgreifen (Grüneberg/Thorn Rz 9).
Rn 15
Eine letzte Fallgruppe der Sinnklausel bilden nach einer beachtlichen LitAnsicht diejenigen Kollisionsnormen, die nicht schematisch nach festen Anknüpfungspunkten verweisen, sondern unmittelbar auf die engste Verbindung abstellen und damit einen optimierten kollisionsrechtlichen Gerechtigkeitsgehalt aufweisen, der nicht durch die Rücksicht auf fremde kollisionsrechtliche Wertungen konterkariert werden solle (Erman/Hohloch Rz 18; Rauscher Rz 306; v Hein ZVglRWiss 99 (2000) 275; Staud/Hausmann Rz 97; Rauscher NJW 88, 2151, 2154). Dies sei bei den Ausweichklauseln der Art 41 u 46 (›wesentlich engere Verbindung‹) der Fall (Grüneberg/Thorn Rz 8) sowie bei Normen wie zB Art 14 I Nr 3 aF, die eine Hilfsanknüpfungen an die gemeinsame engste Verbindung vorsehen (Erman/Hohloch Rz 18). Gegen Letzteres wird aber zutr eingewandt, dass es sich bei der Hilfsanknüpfung von vornherein schon nicht um eine optimale kollisionsrechtliche Beurteilung handeln kann (MüKo/Sonnenberger Rz 29; BeckOK/Lorenz Rz 8; Kropholler § 24 II 2a; v Bar/Mankowski IPR I, § 7 Rz 227). IÜ berührt ohnehin der Aspekt des kollisionsrechtlichen Optimums in keiner Weise den dem Prinzip der Gesamtverweisung zugrunde liegenden Gedanken der Einholung einer Stellungnahme des berufenen Rechts (s.o. Rn 2). Gerade wenn es sich aufgrund der besonderen kollisionsrechtlichen Einzelfallgerechtigkeit, die etwa die Ausweichklauseln ermöglichen, um das optimal passende Recht handelt, ist es sinnvoll, dieses auch nach den allg Grundsätzen in die kollisionsrechtliche Gesamtbeurteilung einzubeziehen (iE ebenso AG Leverkusen FamRZ 03, 1484; AG Hannover FamRZ 00, 1576, ähnl Looschelders Rz 27, 21).