1. Anknüpfungsgesichtspunkte und Anknüpfungshierarchie.
Rn 9
Bei unerlaubten Handlungen mit Auslandsberührung werden häufig nicht alle Bestandteile des Haftungstatbestands am gleichen Ort verwirklicht, zB fallen bei Distanzdelikten Handlungs- und Erfolgsort auseinander, bei Streudelikten treten an mehreren Orten Verletzungserfolge ein. Zudem spielen neben den Interessen der Beteiligten auch öffentliche Interessen, die sich insb in Verhaltensregeln konkretisieren, eine wichtige Rolle, was zu einer Vielzahl denkbarer Anknüpfungspunkte führt. In erster Linie ist eine nachträgliche Rechtswahl der Beteiligten iSd Art 42 (Art 42 Rn 2) zu prüfen, anschließend das Vorliegen einer sonstigen engeren Verbindung iSd Art 41 (unter Berücksichtigung der Grundanknüpfung nach Art 40 I, vgl insb BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 18), danach der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt (bzw der Ort der Hauptverwaltung oder Niederlassung) gem Art 40 II und abschließend das Recht des Tatortes iSd Art 40 I.
2. Recht des Handlungsortes.
Rn 10
Ausgangspunkt der Anknüpfung ist gem Art 40 I 1 das Recht des Ortes, an dem der Ersatzpflichtige die unerlaubte Handlung ganz oder teilw ausgeführt hat (Handlungsort, s insb BGHZ 35, 329, 333 f; IPRspr 02 Nr 46). Bei Unterlassen kommt es auf den Ort an, an dem hätte gehandelt werden müssen (s zB RGZ 36, 27, 28; 150, 265, 270 f; Stuttg WM 08, 1368, 1369; Ddorf IPRspr 08 Nr 25, 58, 61). Das ist nach dem Recht des Ortes, an dem sich das Bezugsobjekt der Handlungspflicht befindet, zu entscheiden (s zB Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 22; MüKo/Junker Art 40 Rz 26). Bei mehreren Handlungsorten ist zunächst zu klären, ob zu einem von ihnen eine besonders enge Verbindung iSd Art 41 besteht (so auch zB Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 20; NK-BGB/Wagner Art 40 Rz 22; BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 23); wenn nicht, ist durch wertende Konkretisierung ein Ort als Schwerpunkt der Handlung zu ermitteln (so auch zB MüKo/Junker Art 40 Rz 28; aA zB BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 23). Bei mehreren Tätern kommt es auf den jeweiligen Handlungsort an, sofern nicht eine gemeinsame, wesentlich engere Verbindung iSd Art 41 zu einer anderen Rechtsordnung besteht (s nur BGHZ 184, 365 Rz 32; WM 10, 2025 Rz 45; 11, 1465 Rz 40; BeckRS 11, 19296 Rz 40: wenn die den Sachverhalt wesentlich prägende Handlung in Deutschland stattgefunden hat, krit Thole ZBB 11, 399, 405; MüKo/Junker Art 40 Rz 48; Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 40; Grüneberg/Thorn Art 40 Rz 4; für einen gemeinsamen Handlungsort Engert/Groh IPRax 11, 458, 467).
3. Bestimmungsrecht des Verletzten.
a) Erfolgsort.
Rn 11
Fallen bei Distanzdelikten Handlungs- und Erfolgsort auseinander, kann der Geschädigte gem Art 40 I 2, 3 die Anwendung des Rechts des Erfolgsortes verlangen. Das ist der Ort, an dem das durch die Deliktsnorm geschützte Rechtsgut bzw Interesse verletzt worden ist (s insb Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 24; Erman/Stürner Art 40 Rz 13). Abzugrenzen ist er vom Schadensort, an dem lediglich der aus der Rechtsguts- oder Interessenverletzung resultierende Schaden eintritt (s nur BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 24; MüKo/Junker Art 40 Rz 31 mwN). Treten bei einem Streudelikt Erfolge an mehreren Orten auf, geht die hM davon aus, dass der Geschädigte das Recht jedes Erfolgsortes wählen kann (›Mosaikbetrachtung‹, zB BGH NJW 13, 2348 [BGH 14.05.2013 - VI ZR 269/12] Rz 10; MüKo/Junker Art 40 Rz 33 mwN; Grüneberg/Thorn Art 40 Rz 10; aA insb Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 26). Allerdings ist die Kognitionsbefugnis der Gerichte jedenfalls im Anwendungsbereich von Brüssel Ia-VO und LugÜ auf die in ihrem Gebiet eingetretenen Rechtsgutsverletzungen beschränkt (s nur EuGH Slg 95, I-415 Rz 33); Entsprechendes sollte für § 32 ZPO angenommen werden (s nur NK-BGB/Wagner Art 40 Rz 48). Trotz europarechtlicher Bedenken (dazu Schaub RabelsZ 02, 18, 43 ff) ist die ›Mosaikbetrachtung‹ mangels sinnvoller Alternative weiterhin anzuwenden. Liegt der Schwerpunkt des Erfolgs in einem bestimmten Staat, sollte aber Art 41 herangezogen werden (s zB BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 26).
b) Bestimmungsrecht.
Rn 12
Der Verletzte kann gem Art 40 I 2, 3 bis zum Ende des frühen ersten Termins bzw des schriftlichen Vorverfahrens die Anwendung des Rechts des Erfolgsortes verlangen. Dieses Bestimmungsrecht ist ein fristgebundenes Gestaltungsrecht mit kollisionsrechtlichem Charakter (so auch zB Staud/v Hoffmann Art 40 Rz 11; MüKo/Junker Art 40 Rz 37; Looschelders Art 40 Rz 33; v Plehwe FS G Müller 159, 162 f; aA zB BeckOK/Spickhoff Art 40 Rz 28; NK-BGB/Wagner Art 40 Rz 25; Erman/Stürner Art 40 Rz 13: prozessrechtlicher Charakter). Durch eine Begrenzung auf den Prozesszusammenhang und den konkreten Streitgegenstand würde das Bestimmungsrecht – auch wenn es der Prozessökonomie dient (BTDrs 14/343, 11) – ohne Not eingeschränkt, und die Bezugnahme auf die ZPO dient nur der zeitlichen Limitierung.
Rn 13
Das Bestimmungsrecht wird als Gestaltungsrecht durch einseitige Erklärung des Geschädigten ausgeübt. Die Wirksamkeit der Bestimmung sollte nach der lex fori, also idR nach deutschem Recht beurteilt werden (s nur Freitag/Leible ZVglRWiss 00, 101, 131). Die Ausübung kann auch konkludent erfolgen, zB durch Berufung auf...