Prof. Dr. Moritz Brinkmann
I. Geltung der lex rei sitae, Abs 1.
1. Normzweck und Allgemeines.
Rn 6
Nach Art 43 I findet zur Beurteilung der dinglichen Rechtslage grds das Recht des Orts Anwendung, an dem sich die fragliche Sache zum Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs befindet. Zur Notwendigkeit der Erweiterung der situs-Regel bei Sachen, die sich auf See befinden (Off-shore-Windparks), Wurmnest RabelsZ 72 (2008), 236; Böttcher RNotZ 11, 589. Die lex rei sitae Regel bezweckt den Verkehrsschutz (BTDrs 14/343, 15). Eine abweichende Rechtswahl ist im Hinblick auf diesen Normzweck als solche unwirksam und allenfalls und nur sehr vorsichtig iRv Art 46 zu berücksichtigen (s Art 46 Rn 2).
Rn 7
Fallen bezüglich einer Sache Gesamt- (Güter-, Erb-, Gesellschaftsrechtsstatut) und Sachstatut auseinander, so setzt sich vorbehaltlich Art 3a II das Gesamtstatut durch. Anderes gilt im Anwendungsbereich der EuErbVO bezüglich der Wirkung ausländischer Vindikationslegate (EuGH NJW 17, 3767; MüKo/Dutta Art 1 EuErbVO Rz 53; Mansel FS Coester-Waltjen 587, 589). Die Löschung einer Auslandsgesellschaft führt im Hinblick auf den Schutz der inländischen Gläubiger nicht zur Anwendung des ausländischen Liquidationsrechts auf die im Inland belegenen Vermögensgegenstände. Insoweit kommt es vielmehr zur Entstehung einer Spaltgesellschaft (Hamm NZG 14, 703; Jena ZIP 07, 1709). Zum Schutze des numerus clausus der Sachenrechte kann das Gesamtstatut nicht im Widerspruch zum Sachstatut geltend gemacht werden, so dass ggf eine Angleichung vorgenommen werden muss.
2. Anwendungsbereich.
Rn 8
Die Vorschrift gilt für bewegliche und unbewegliche Sachen, wobei hierunter wie nach § 90 körperliche Gegenstände zu verstehen sind (Grüneberg/Thorn Rz 1; für einen in Zweifelsfällen normativ erweiterten Sachbegriff MüKo/Wendehorst Rz 14 ff). Allerdings ist dem berufenen Sachstatut zu entnehmen, ob eine Sache wesentlicher Bestandteil oder Zubehör einer anderen Sache ist (Staud/Mansel Rz 341).
Rn 9
Bei Wertpapieren ist zwischen dem Recht am Papier (Wertpapiersachstatut) und dem Recht aus dem Papier (Wertpapierrechtsstatut) zu unterscheiden. Für das Wertpapiersachstatut gilt Art 43 I, also der Grundsatz der lex cartae sitae (BGH NJW 90, 243; Karlsr ZIP 06, 1576; Ddorf IPR 03, 154). Nach der Sondervorschrift des § 17a DepotG unterliegen allerdings Verfügungen über Wertpapiere, die mit rechtsbegründender Wirkung in ein Register eingetragen werden oder auf einem Konto verbucht werden, dem Recht des Staates, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird (BTDrs 14/1539, 16; Haubold RIW 05, 656; Einsele WM 01, 7, 15). Das Wertpapierrechtsstatut ergibt sich aus dem Recht, dem die verbriefte Forderung unterliegt (Looschelders IPR Rz 27). Nach diesem Recht ist auch zu beurteilen, ob es sich bei der Urkunde überhaupt um ein Wertpapier (im weiteren oder engeren Sinn) handelt (RGZ 119, 215, 216; Karlsr IPRspr 01, Nr 44). Elektronische und Krypto-Wertpapiere gelten nach §§ 2 III, 4 III eWpG als Sachen (eingehend zu deren kollisionsrechtlicher Behandlung und der von Kryptowerten Skauradszun ZfPW 22, 56, 70 ff).
3. Reichweite des Sachstatuts.
a) Rechte an einer Sache.
Rn 10
Das Recht des Lageorts gilt für sämtliche sachenrechtliche Fragen; insb entscheidet es, wem die Sache gehört (Eigentum), welche dinglichen Rechte an ihr bestehen können (numerus clausus der Sachenrechte) sowie ob solche Rechte entstanden, übergegangen, geändert, erloschen oder verjährt sind (BTDrs 14/343, 15; zur Verjährung Stuttg v 2.2.06 – 19 U 47/05). Auch für den Inhalt und die Durchsetzung dinglicher Rechte ist grds die lex rei sitae zu befragen (BGH NJW 98, 1321; zur Abgrenzung vom Güterrechtsstatut München NJW-RR 09, 806; Schlesw FamRZ 10, 377). Zum Auseinanderfallen von Sachstatut und Forderungsstatut bei grundpfandrechtlich gesicherten Forderungen Unberath IPRax 05, 308 [BGH 26.07.2004 - VIII ZR 273/03]. Dies gilt außerhalb von Art 44 auch für den Schutz dinglicher Rechte. Soweit dieser durch Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche verwirklicht wird, ist allerdings der Vorrang der ROM II-VO zu beachten, der auch Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche nach EBV betrifft (Saarbr ZRI 23, 495 Rz 88; Erman/Stürner Rz 27).
Rn 11
Ob es sich bei einem bestimmten ausländischen Rechtsinstitut um ein dingliches Recht iSv Art 43 handelt, ist durch funktionale Qualifikation danach zu ermitteln, ob es wie das deutsche Eigentum und die beschränkt dinglichen Rechte absolute Wirkung in Bezug auf die Zuordnung einer Sache hat, also Befugnisse im Hinblick auf die Sache ggü jedermann vermittelt. Dies ist bspw für das Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers zu bejahen (München MDR 23, 1209 [OLG München 10.05.2023 - 18 W 517/23 e] Rz 42). Danach können auch einzelne Berechtigungen schuldrechtlichen Ursprungs als sachenrechtlich iSv Art 43 zu qualifizieren sein: § 566 (LG Hamburg IPRspr 91, Nr 40); englisches lien at law (LG München I WM 57, 1378), zur umstrittenen Einordnung von Verfolgungs- und Anhalterechten etwa nach Art 71 II CISG s Staud/Mansel Rz 924 ff; MüKo/Wendehorst Rz 66. Bei Leasingverträgen kann das UNIDROIT-Abk von Ottawa v 28.5.88 zu beachten sein, das allerdings vo...