Prof. Dr. Moritz Brinkmann
Gesetzestext
Besteht mit dem Recht eines Staates eine wesentlich engere Verbindung als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 und 45 maßgebend wäre, so ist jenes Recht anzuwenden.
A. Normzweck und Anwendungsbereich.
Rn 1
Art 46 sieht eine Ausweichklausel für die sachenrechtlichen Anknüpfungen nach Art 43 und 45 vor, die teleologische Abweichungen im Einzelfall und hierdurch die sukzessive Herausbildung von Sonderkollisionsnormen ermöglicht (Mansel FS Heldrich 899, 902). Wegen der verkehrsschützenden Funktion insb der lex rei sitae aber auch der Anknüpfung nach Art 45 I ist bei der Abweichung von diesen Grundsätzen allerdings Zurückhaltung geboten (Junker RIW 00, 241, 245; MüKo/Wendehorst Rz 2). Art 46 ist Sachnormverweisung (s Art 4 Rn 15).
Rn 2
Voraussetzung ist, dass durch die Regelanknüpfungen nach Art 43 oder 45 eine extrem sachferne Rechtsordnung (BTDrs 14/343, 18) zur Anwendung käme (München BeckRS 22, 5989, Rz 14). Dies kann der Fall sein, wenn eine Anknüpfung an den Lageort zufällig erscheint, was insb der Fall ist, wenn ein neuer Lageort im Zuge der vorläufigen Vollstreckung einer später aufgehobenen gerichtlichen Entscheidung begründet wurde (BGH NJW-RR 10, 983 [BGH 22.02.2010 - II ZR 286/07]). Der Lageort ist ferner dann irrelevant, wenn nur relative Wirkungen zwischen zwei Parteien in Rede stehen, die mit der berufenen Rechtsordnung keinerlei Berührungspunkte haben. Verkehrsschutzgesichtspunkte treten dann in den Hintergrund. Ein nur geringfügig stärkerer Bezug zu einem anderen staatlichen Recht reicht aber nicht. Erforderlich ist, dass ein bestimmtes anderes Recht erheblich sachnäher ist (MüKo/Wendehorst Rz 16). Dies ist der Fall, wenn praktisch alle anderen Anknüpfungspunkte objektiv feststellbar auf eine andere Rechtsordnung verweisen. Insofern kann auch eine iÜ unbeachtliche Rechtswahl der Parteien nur einer – wenn auch bedeutsamer – von mehreren Gesichtspunkten sein, die eine andere Rechtsordnung als wesentlich sachnäher erscheinen lassen (BeckOK/Spickhoff Rz 3; Stoll IPRax 00, 265; sehr zurückhaltend Grüneberg/Thorn Rz 3). Die grds Entscheidung des Gesetzgebers gegen die Zulässigkeit einer Rechtswahl darf nicht über Art 46 umgangen werden (Junker RIW 00, 252). Auch die Ermöglichung gemeinschaftsrechtskonformer Anknüpfungen ist kein zu berücksichtigender Gesichtspunkt iR von Art 46, da Zweck der Regelung die Berufung des sachnächsten Rechts ist. Insofern ist der Gedanke der Europarechtskonformität eine tatbestandsfremde Erwägung (Mansel FS Heldrich 899, 903; zurückhaltend auch MüKo/Wendehorst Rz 11).
B. Abweichungen von Art 43 und 45.
Rn 3
Zum Eigentumsübergang an einem gestohlenen Fahrzeug an den Versicherer nach § 13 Abs 5 AKB aF war umstritten, ob hier unter Anwendung der Ausweichklausel eine Sonderanknüpfung zu befürworten war (befürwortend Grüneberg/Thorn Rz 3; NK-BGB/v Plehwe Rz 8; aA MüKo/Wendehorst Rz 36; unklar Brandbg NJW-RR 01, 597 [OLG Brandenburg 12.12.2000 - 11 U 14/00]). Nach A.2.5.5.4 AKB 2015 geht das Eigentum am Kfz nunmehr erst nach dessen Wiederauffinden auf den Versicherer über. In dieser Situation ist der Lageort bekannt, sodass es bei der Regelanknüpfung nach Art 43 bleiben muss. Über Art 46 sollte für die Frage der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs bei abhandengekommenen Gegenständen entgegen der hM auf das Recht des Ortes abgestellt werden, an dem die Sache abhandengekommen ist (s Art 43 Rn 14). Diskutiert wird die Anwendung von Art 46 weiter bei Verfügungen über Reisegegenstände zwischen Reisegenossen mit gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthaltsort (Pfeiffer IPRax 00, 275) sowie bei res in transitu – sofern diese sich in einem Durchgangsstaat befinden. Bei res in transitu kann statt des Rechts des Durchgangsstaates über Art 46 das des Bestimmungsstaates zur Anwendung gebracht werden, jedenfalls soweit nur die Beziehungen der Parteien des Transitgeschäfts berührt sind (BTDrs 14/343, 14; Grüneberg/Thorn Art 46 Rz 3; Erman/Stürner Art 45 Rz 12). Für Grundstücke wird eine Abweichung vom Recht des Lageorts kaum einmal in Frage kommen (anders für das Recht zur wirtschaftlichen Verwaltung nach russischem Recht Kopylov RIW 09, 516).