Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
a) Objektive Festlegung.
Rn 29
Der gewöhnliche Aufenthalt setzt anders als das im anglo-amerikanischen Rechtskreis vorherrschende Anknüpfungsmoment des ›domicile‹ keine dauerhafte heimatliche Verbundenheit (Hamm FamRZ 92, 552; BeckOK/Lorenz Rz 18; Erman/Hohloch Rz 59; Looschelders Rz 15) mit dem betreffenden Ort voraus. Gewöhnlicher Aufenthalt ist vielmehr der Ort, an dem eine Person ihren tatsächlichen Daseinsmittelpunkt hat (BGH NJW 93, 2048; 75, 1068; BGHZ 78, 295; Grüneberg/Thorn Rz 10; Erman/Hohloch Rz 47). Das Dasein wird idR durch die Einbindung in Familie und Beruf bestimmt. Bei Auseinanderfallen von Wohn- und Arbeitsort gibt bei täglichen oder wöchentlichen Pendlern der Wohnort den Ausschlag, bei selteneren Heimaturlauben der Arbeitsort (Looschelders Rz 8; Spickhoff IPRax 95, 185), dort wo die Person ›zur Ruhe kommt‹ (Soergel/Kegel Rz 44). Gewöhnlich ist ein Aufenthalt ab ca 6–12 Monaten (BGHZ 78, 294 f; Rostock IPRax 01, 588; Erman/Hohloch Rz 48), wobei nach 6 Monaten eine widerlegliche Vermutung gilt (Hamm FamFR 12, 431). Der Embryo hat keinen gewöhnlichen Aufenthalt (BGH NJW 16, 3174 [BGH 24.08.2016 - XII ZB 351/15]); Ersatzanknüpfung für den Nasciturus ist der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter (MüKo/v Hein Rz 178).
b) Subjektive Erwägungen.
Rn 30
Auch wenn ein rechtsgeschäftlicher Wille zur Begründung oder Beibehaltung des gewöhnlichen Aufenthalts nicht erforderlich ist (BGH NJW 93, 2048), sind subjektive Elemente nicht ohne Bedeutung: So ist etwa sofort ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet, wenn ein Aufenthaltswechsel auf einen längeren Zeitraum angelegt ist (BGHZ 78, 295). Die zeitweilige Entfernung lässt den gewöhnlichen Aufenthalt unberührt, wenn Rückkehrwille besteht (BGH NJW 93, 2048 [BGH 03.02.1993 - XII ZB 93/90]; 75, 1068 [BGH 05.02.1975 - IV ZR 103/73]). Ist der Aufenthalt durch Inhaftierung, Kriegsgefangenschaft oder Verschleppung erzwungen worden, so handelt es sich idR nicht um einen gewöhnlichen Aufenthalt iSd Art 5 (Kobl FamRZ 98, 756; Köln FamRZ 96, 947; Grüneberg/Thorn Rz 10; Staud/Blumenwitz Rz 466; aA bei zwangsweiser Unterbringung ohne anderweitigen Daseinsmittelpunkt BayObLG NJZ 03, 638; bei 14-monatiger Strafhaft eines Betreuten ohne anderen Schwerpunkt der Lebensbeziehungen München FamRZ 06, 1562; allg Raape/Sturm 130).
c) Eindeutigkeit.
Rn 31
Um als Anknüpfungspunkt für die kollisionsrechtliche Beurteilung brauchbar zu sein, muss der gewöhnliche Aufenthalt eindeutig sein. Die Annahme eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts (so BayObLG 96, 122; KG FamRZ 87, 603; Soergel/Kegel Rz 49; Spickhoff IPRax 95, 189) ist daher nicht sachdienlich; der Schwerpunkt ist vielmehr eindeutig auszuermitteln (Oldbg NJW-RR 10, 1592; Stuttg FamRZ 03, 959; Kropholler § 39 II 6a (1)). Selbst für ein Kind, das bei Trennung der Eltern einen Doppelwohnsitz erwirbt, soll ein eindeutiger Schwerpunkt der persönlichen Bindungen feststellbar sein (Bremen FamRZ 92, 963), was indes nicht für alle Fälle überzeugen dürfte.