Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Bestimmung der Staatsangehörigkeit.
1. Recht des betreffenden Staates.
Rn 5
Da die Staatsangehörigkeit eine öffentlichrechtliche Zugehörigkeitsbeziehung zwischen Person und Staat schafft (Kegel/Schurig § 9 II 2a), richtet sich ihre Bestimmung – auch aus völkerrechtlichen Gründen (Staud/Blumenwitz Rz 45 ff; BeckOK/Lorenz Rz 2 zu Art 1 I Staatenlosenkonvention, zu dieser s.u. Rn 13, Rn 15) – nach dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit in Anspruch genommen wird (dazu auch Art 3 EGBGB Rn 48), für Deutschland daher stets – etwa auch als Vorfrage einer nach Gesamtverweisung anzuwendenden ausl Kollisionsnorm – nach den in Rn 6 dargestellten Grundsätzen. Entzieht oder verleiht ein Staat einer Person die Staatsangehörigkeit völkerrechtswidrig aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen, so ist dies für die kollisionsrechtliche Anknüpfung unbeachtlich, es sei denn, das Festhalten an der entzogenen Staatsangehörigkeit läge nicht im Interesse des Betroffenen (Looschelders Rz 4). Bei der Europäischen Unionsbürgerschaft (Art 20 AEUV) handelt es sich nicht um Staatsangehörigkeit iSd Art 5 (v Hoffmann/Thorn § 5 Rz 58).
2. Deutschland.
Rn 6
Die Erwerbs- und Verlusttatbestände der deutschen Staatsangehörigkeit finden sich im StAG. Im gesamten Bürgerlichen Recht und damit auch im IPR stehen deutschen Staatsangehörigen zudem die sog Statusdeutschen gleich (Art 116 I GG; Art 9 Abschn 2 Nr 5 1 FamRÄndG), so dass auch diese als ›Deutsche‹ iSd Kollisionsnormen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, anzusehen sind (BGHZ 121, 305; Hamm FamRZ 01, 919; Erman/Hohloch Rz 41). Statusdeutsche sind Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, die in dieser Eigenschaft im Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31.12.37 Aufnahme gefunden haben, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen (Art 116 I GG). Die Gleichstellung tritt aber erst mit der Aufnahme der betreffenden Personen in das heutige Gebiet der BRD einschließlich der ehemaligen DDR ein. Bis zu diesem Zeitpunkt gilt das bisherige Personalstatut. Art 116 hat insoweit keine Rückwirkung (BGHZ 121, 311 ff). Nach § 40a StAG haben die meisten Statusdeutschen zum 1.8.99 ohnehin kraft Überleitung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben; Spätaussiedler und deren nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge, die vor diesem Zeitpunkt keine Bescheinigung nach dem BundesvertriebenenG erhalten haben, fallen zwar nach § 40 2 StAG nicht unter die Überleitungsregelung, doch können sie bei Nachholung der Bescheinigung nach § 7 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit noch erwerben (Fuchs NJW 00, 490).
3. Völkerrechtlich nicht anerkannte Staaten.
Rn 7
Da nach hM allein die faktischen Verhältnisse maßgeblich sind, spielt es keine Rolle, ob der Staat völkerrechtlich anerkannt ist oder nicht, solange nur mit Staatsgewalt, Staatsvolk und Staatsgebiet die konstitutiven Elemente eines Staates gegeben sind und dieser eine Rechtsordnung hat (Lüderitz Rz 108; dazu s.a. Art 3 EGBGB Rn 12). Ob insofern angesichts der von Israel und der PLO vereinbarten Aufenthaltsberechtigung in den Autonomiegebieten von einer eigenen palästinensischen Staatsangehörigkeit ausgegangen werden kann, ist umstr (dafür Looschelders Rz 6; Börner IPRax 97, 47, 51 f; dagegen Staud/Sturm/Sturm Einl IPR Rz 815; s.a. Art 3 EGBGB Rn 12). Lehnt man dies ab, so ist auf die ägyptische, israelische, jordanische oder syrische Staatsangehörigkeit des betr Palästinensers abzustellen bzw bei Staatenlosigkeit nach II zu verfahren.
4. Anknüpfung von Vorfragen.
Rn 8
Da es sich bei Fragen der Staatsangehörigkeit um öffentliches Recht handelt und im Hinblick auf das Passwesen dem internationalen Entscheidungseinklang eine besondere Bedeutung zukommt, sind Vorfragen wie Eheschließung, Kindschaft und Adoption nach dem IPR des betr Staates zu beurteilen (BGH NJW 16, 2322 [BGH 20.04.2016 - XII ZB 15/15] Tz 25 mN unter Hinweis auf die Souveränität des staatsangehörigkeitsverleihenden Staates; Grüneberg/Thorn Einl Art 3 Rz 30; Kegel/Schurig § 9 II 2a; Soergel/Kegel Rz 3, s.o. Art 3 EGBGB Rn 48).
II. Nichtfeststellbarkeit der Staatsangehörigkeit.
Rn 9
Ob die Staatsangehörigkeit feststellbar ist oder nicht, hängt auch vom Umfang der Ermittlungspflicht ab. Wo der Untersuchungsgrundsatz gilt (zB § 26 FamFG), ist das Gericht nicht an die Feststellungen ausl Behörden gebunden (BGH IPRspr 77 Nr 110; Grüneberg/Thorn Rz 6). Zweifel lassen sich dann nicht durch ein Wahrscheinlichkeitsurteil (aA bei deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit Kegel/Schurig § 15 V 1b) oder ein Abstellen auf die frühere oder letzte feststellbare Staatsangehörigkeit überwinden (MüKo/von Hein Rz 120), sondern der Betreffende ist nach II wie ein Staatenloser zu behandeln. Jedenfalls, wenn die hierfür von II genannten Anknüpfungspunkte (gewöhnlicher oder schlichter Aufenthalt) nicht ermittelbar sind, lässt sich hilfsweise eine wahrscheinliche Staatsangehörigkeit heranziehen (Kegel/Schurig § 15 V 1 aE).
Rn 10
Umstr ist, ob II zu reduzieren ist in der Weise, dass er auf einseitige Kollisionsnormen keine Anwendung findet, wenn es sich um Exklusivnormen (s.o. Art 3 EGBGB Rn 32) handelt. Die hM fordert eine Unterscheidung danach, ...