Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
I. Ergebnis als Prüfungsgegenstand.
Rn 14
Der so ermittelte Prüfungsmaßstab ist sodann anzuwenden auf das Ergebnis der Rechtsanwendung (BTDrs 10/504, 43; Grüneberg/Thorn Rz 5; Looschelders Rz 11; Staud/Blumenwitz Rz 86). Dieses ist im Lichte der Wertungen und Motive des anwendbaren Rechts zu betrachten (Looschelders IPRax 06, 463; Dörner IPRax 94, 35 [OLG Hamm 29.04.1992 - 15 W 114/91]), die aber nur insoweit interessieren, als sie sich im Einzelfallergebnis niederschlagen (Looschelders Rz 12). So mag die abstrakte Norm ordre-public-widrig erscheinen, das konkrete Subsumtionsergebnis aber hinnehmbar sein, zB im Falle des einseitigen ggü der Frau ausgesprochenen Talaq, wenn die Frau einwilligt und/oder ein Scheidungsgrund nach deutschem Recht vorliegt (Frankf FamRZ 09, 1504; Hamm IPRspr 94 Nr 83; Kobl IPRspr 92, 236; Justizministerium NW IPRspr 91 Nr 216; MüKo/Sonnenberger Rz 44; krit im Hinblick auf den Übereilungsschutz als Aspekt des Eheschutzes aber Rauscher NJW 10, 3488), im Falle einer Sorgerechtsverteilung nach iranischem Recht, die in casu dem Kindeswohl entspricht (BGH IPRspr 93, Nr 6 aE), oder der gesetzlichen Benachteiligung bestimmter Erbengruppen, wenn der Erblasser eben dies unter deutschem Recht durch letztwillige Verfügung tatsächlich angeordnet hätte (Hamm IPRax 06, 481 [OLG Hamm 28.02.2005 - 15 W 117/04]). Auch eine polygame Ehe ist nicht als solche zu verwerfen, sondern die Bewertung muss sich auf die konkreten Rechtswirkungen im Einzelfall beziehen: Steht einer Heirat im Inland unter Mitwirkung des Standesbeamten der op entgegen (MüKo/Coester Art 13 Rz 68), so gilt dies idR nicht auch für die Herleitung vermögensrechtlicher Wirkungen aus einer bereits wirksam geschlossenen polygamen Ehe (MüKo/Birk Art 25 Rz 115). An der Maßgeblichkeit nur des Erg liegt es auch, dass die ordre-public-Widrigkeit des auf eine Vorfrage anwendbaren Rechts für Art 6 letztlich weniger Bedeutung hat als diejenige des auf die Hauptfrage anwendbaren Rechts (MüKo/Sonnenberger Rz 88; iE ebenso Grüneberg/Thorn Rz 6, der dies stattdessen aber mit einer Verminderung des Inlandsbezugs erklärt). Ähnl lässt sich begründen, dass Art 6 nicht eingreife, wenn zwar das im Verlaufe der Falllösung angewandte ausl Kollisionsrecht nicht mit dem ordre-public zu vereinbaren ist, weil es etwa an das Mannesrecht anknüpft, aber in casu dennoch zu einem die Frau nicht unerträglich benachteiligenden Sachrecht führt, zB dem deutschen (so Palandt/Heldrich 67. Aufl Rz 9; iE Lorenz FS Sturm [99], 1568; aA AnwK/Schulze Rz 27; Gebauer FS Jayme [04], 223). Umgekehrt entbindet die Korrektur einer Teilfrage nicht von der Überprüfung des gesamten Ergebnisses (Looschelders IPRax 09, 505).
II. Inlandsbezug.
Rn 15
Weist der Sachverhalt im Entscheidungszeitpunkt (Hamm IPRspr 60–61 Nr 115; LG Regensburg IPRspr 54–55 Nr 120; MüKo/Sonnenberger Rz 83) keine über den deutschen Gerichtsstand hinaus gehende Beziehung zum Inland auf, so ist 1 unanwendbar (Hamm IPRax 82, 197; Grüneberg/Thorn Rz 6; Kegel/Schurig § 16 III 2b; Looschelders Rz 18; Soergel/Kegel Rz 27). Denn ob ein Verstoß vorliegt, kann nicht absolut, sondern nur relativ, dh bezogen auf alle Umstände des zu entscheidenden Falles beurteilt werden (BGH NJW 65, 1664; BGHZ 22, 163; RGZ 119, 263; BayObLGZ 69, 79 ff; Erman/Hohloch Rz 14; Soergel/Kegel Rz 26): Der Sachverhalt muss in räumlicher, sachlicher und zeitlicher Hinsicht so enge Beziehungen zur gegenwärtigen (s Rn 12) deutschen Rechtsordnung und damit zu deren op aufweisen, dass die Hinnahme der Rechtsfolge unerträglich erscheint (MüKo/Sonnenberger Rz 75). Man spricht auch von ›Relativität des op‹. Hinreichenden Inlandsbezug begründet idR der gewöhnliche (vgl BTDrs 10/504, 43; Hess VGH FamRZ 94, 957), inbes der langjährige (KG FamRZ 02, 166; Hamm FamRZ 00, 32; München NJW-RR 12, 1096), kaum aber der schlichte Aufenthalt (BambG FamRZ 97, 96 – Zweitwohnsitz). Bei alledem sind die Anforderungen an den Inlandsbezug umso geringer, je stärker die ausl Norm gegen grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen hierzulande verstößt (BVerfG NJW 07, 900; BGHZ 118, 349). Unter diesem Aspekt kann auch ein rechtmäßiger und nicht nur vorübergehender Aufenthalt als Inlandsbezug ausreichen (BVerfG NJW 07, 900 [BVerfG 18.07.2006 - 1 BvL 1/04]).
Rn 16
Die Inlandsbeziehung ist nach hM auch dann nicht entbehrlich, wenn es um die Verletzung von Grundrechten geht (BGHZ 120, 34; MüKo/Sonnenberger Rz 82; Begr RegEntw BTDrs 10/504, S 44; aA wegen Art 1 III GG Looschelders Rz 18 und RabelsZ 65 (2001) 476; Spickhoff 125; Raape/Sturm 217), wobei aber die Bedeutung der deutschen Entscheidung für den Grundrechtsverstoß in die Beurteilung der im Einzelfall bestehenden Inlandsbeziehung einfließen kann und andererseits auch zu berücksichtigen ist, dass möglicherweise Grundrechten bei starkem Auslandsbezug schon verfassungsrechtlich eine andere Wirkung zukommt (BGHZ 63, 226; Looschelders Rz 26; Dörner FS Sandrock [00], 208; Deutungsansatz von BVerfGE 31, 86 und NJW 91, 1600 [BVerfG 23.04.1991 - 1 BvR 1170/90] durch MüKo/Sonnenberger Rz 82, s.a...