Prof. Dr. Juliana Mörsdorf
Gesetzestext
1Die Todeserklärung, die Feststellung des Todes und des Todeszeitpunkts sowie Lebens- und Todesvermutungen unterliegen dem Recht des Staates, dem der Verschollene in dem letzten Zeitpunkt angehörte, in dem er nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat. 2War der Verschollene in diesem Zeitpunkt Angehöriger eines fremden Staates, so kann er nach deutschem Recht für tot erklärt werden, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse besteht.
A. Einführung.
Rn 1
Der Tod und sein Zeitpunkt haben zivilrechtlich vielfältige Konsequenzen, etwa im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit, das Familien- und das Erbrecht. Verbleiben Zweifel in tatsächlicher Hinsicht, so behelfen sich die verschiedenen Rechtsordnungen mit sehr unterschiedlichen Vermutungen, die teilw kraft Gesetzes eingreifen, teilw aber auch behördliche Maßnahmen der in Art 9 beispielhaft aufgezählten Art voraussetzen. Um dennoch sämtliche Rechtsverhältnisse der betreffenden Person einheitlich beurteilen zu können, entzieht Art 9 die Frage, wovon bei tatsächlicher Ungewissheit des Todes auszugehen ist und welche Wirkung etwaigen behördlichen Maßnahmen zukommt, den verschiedenen Wirkungsstatuten (zB Art 7, 13, 17, 25) und unterstellt sie im Wege der Sonderanknüpfung dem Heimatrecht (Staatsangehörigkeit). Die ergänzende Sonderregelung des Art 2 § 1 IV VerschÄndG hat nur noch geringe praktische Bedeutung (s.u. Rn 7).
B. Anknüpfungsgegenstand.
Rn 2
Der Anknüpfungsgegenstand des Art 9 entspricht im Wesentlichen der Regelungsmaterie des Verschollenheitsgesetzes. Er erfasst über die in Art 9 ausdrücklich genannten Beispiele hinaus auch alle anderen Funktionsäquivalente der – für nahezu sämtliche Rechtsverhältnisse des Verschollenen einheitliche Rechtsfolgen herbeiführenden – gerichtlichen Todeserklärung deutschen Musters, etwa auch die mit schwächerer Wirkung ausgestattete Verschollenheits- oder Abwesenheitserklärungen des romanischen Rechtskreises oder die einfachen Lebens- oder Todesvermutungen des common law. Gilt die Verschollenheitsregelung allerdings nur für ein bestimmtes Rechtsgebiet, wie dies etwa in Deutschland im öffentlichrechtlichen Versorgung- oder Sozialversicherungsrecht der Fall ist, so entscheidet nicht Art 9, sondern das betreffenden Wirkungsstatut über die Anwendbarkeit (Looschelders Rz 5). Außerdem sind Vermutungen und andere Regelungen zur anzunehmenden Reihenfolge des Versterbens mehrerer nach Art 9 anzuknüpfen (Kommorientenvermutung, unterschiedliche Überlebensvermutungen) (Grüneberg/Thorn Rz 2; Erman/Hohloch Rz 14; Staud/Wiek Rz 61; Looschelders Rz 7; Dörner IPRax 94, 365).
C. Anknüpfungspunkt.
I. Regelanknüpfung.
Rn 3
Die Anknüpfung ist nicht wandelbar: Als Anknüpfungszeitpunkt ist der letzte Zeitpunkt festgelegt, in dem der Verschollene nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat.
Rn 4
Welche von mehreren Staatsangehörigkeiten oder welche Ersatzanknüpfung bei Staatenlosen, Vertriebenen und Flüchtlingen maßgeblich ist, ergibt sich aus Art 5 bzw vorrangigen Staatsverträgen.
II. Vorbehalte zugunsten deutschen Rechts.
Rn 5
Ist nach 1 ausl Recht anwendbar, so darf stattdessen nach 2 ausnahmsweise auf deutsches Recht zurückgegriffen werden, wenn ein ›berechtigtes Interesse‹ gegeben ist. Das ist wegen des Ausnahmecharakters des 2 eng auszulegen und hängt von einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles ab; dabei kommt dem Inlandsbezug des Sachverhaltes große Bedeutung zu, der sich ausdrücken kann im letzten gewöhnlichen Aufenthalt, in der Belegenheit von Vermögen, in der Staatsangehörigkeit oder dem gewöhnlichen Aufenthalt naher Angehöriger (Grüneberg/Thorn Rz 3; Looschelders Rz 13; Erman/Hohloch Rz 9; etwas enger MüKo/Birk Rz 26); es kann auch zu berücksichtigen sein, ob deutsches Recht Wirkungsstatut ist und ob das nach 1 anwendbare Recht keine Todeserklärung oä kennt (Grüneberg/Thorn Rz 3; Erman/Hohloch Rz 9; Looschelders Rz 13). Letztlich kommt es darauf an, inwieweit bei Anwendung des ausl Heimatrechts die Funktionsfähigkeit des inländischen Rechtsverkehrs oder die Betätigungsfreiheit eines betroffenen Einzelnen beeinträchtigt wäre (BeckOK/Mäsch Rz 9; MüKo/Birk Rz 26).
Rn 6
Der ausdrücklich nur für die Todeserklärung vorgesehene Vorbehalt zugunsten deutschen Rechts gilt analog auch für den Rest des Anknüpfungsgegenstandes des Art 9, also auch für die Feststellung des Zeitpunktes des Todes (Soergel/Kegel Rz 10; Looschelders Rz 14).
Rn 7
Eine weitere Möglichkeit der Todeserklärung eines Ausländers nach deutschem Recht ergibt sich aus Art 2 § 1 IV VerschÄndG, der Verschollene und Gefangene des Zweiten Weltkriegs betrifft.
D. Geltung der allg Regeln.
Rn 8
Vorrangig zu beachtender (Art 3 Nr 2) Staatsvertrag ist va das deutsch-iranische Niederlassungsabk (RGBl 1930 II 1006), das in Art 8 III aber ebenfalls an die Staatsangehörigkeit anknüpft. Nach dessen Art 8 III 2 steht der Anwendung des Art 9 2 auch ggü Iranern nichts entgegen, weil diese Abweichung vom Staatsvertrag alle fremden Staatsangehörigen gleichermaßen trifft (Looschelders Rz 25; v Bar IPR II § 1 Rz 14).
Rn 9
Art 9 spricht eine Gesamtverweisung aus (Art 4 I); Angaben zu den daher anzuwendenden ausl Kollisionsregeln macht Staud/We...