Rn 2
Art 1 I bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich. Es geht um das auf solche Unterhaltspflichten anzuwendende Recht, die sich aus bestimmten Beziehungen ergeben. Umfasst werden gesetzliche Unterhaltspflichten, wobei es auf die Art der Unterhaltsgewährung (Barunterhalt, Betreuungsunterhalt, Sonderbedarf) nicht ankommt. Andersartige Unterhaltsersatzansprüche ausl Rechts fallen ebenfalls hierunter, so zB der Entschädigungsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach Art 174 II türk ZGB (Stuttg FamRZ 12, 999 m Aufs Gruber IPRax 13, 325; vgl auch Gottwald FamRZ 15, 2046). Die Morgengabe islamischen Rechts wurde als Vereinbarung über die finanzielle Absicherung der Frau nach Scheidung zT unterhaltsrechtlich qualifiziert (so Hamm FamRZ 16, 1391 m abl Aufs Althammer NZFam 16, 1022), s aber Art 14 EGBGB Rn 8. Zur Ketubbah-Vereinbarung jüdischen Rechts vgl Ddorf FamRZ 02, 1118. Als Bestandteil der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmen sich auch deren Geltendmachung vorbereitende Ansprüche u Gestaltungsrechte nach dem Unterhaltsstatut. Ansprüche mit Hilfsfunktion sind unterhaltsrechtlich zu qualifizieren (Rauscher/Andrae Rz 13b, Art 11 Rz 4). Dies gilt insb für (ggf durch Angleichung anzunehmende) Auskunftsansprüche (Martiny IPRax 20, 166, 168; Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner Kap 6 Rz 267 f mwN) u die Unterhaltsbestimmung nach § 1612 II BGB.
Rn 3
Erfasst werden auch Unterhaltsvereinbarungen, soweit sie sich auf gesetzliche Unterhaltspflichten beziehen (Bonomi YbPrIntL 08, 340; weiter gehend Rauscher/Andrae Rz 8f). Solche Vereinbarungen – auch der Unterhaltsverzicht – konkretisieren oder modifizieren lediglich die gesetzliche Unterhaltspflicht (vgl Süß ZNotP 11, 282, 283 ff). Diese unterfallen daher dem Unterhaltsstatut. Dasselbe gilt für gerichtliche Vergleiche solchen Inhalts (Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner Kap 6 Rz 266 mwN) sowie die Gläubigeranfechtung v Unterhaltsvereinbarungen (Schlesw OLGR 04, 226).
Rn 4
Der Anwendungsbereich des Unterhaltsstatuts umfasst auch die Verpflichtung zur Zahlung eines Prozesskostenvorschusses. Diese Qualifikation ist inzwischen hM (Grüneberg/Thorn Art 11 Rz 39 mwN). Besteht also im Einzelfall nach dem maßgebenden ausl Unterhaltsstatut keine Prozesskostenvorschusspflicht, kann diese auch nicht hilfsweise aus dem deutschen Recht hergeleitet werden.
Rn 5
Fraglich ist, ob die Zuweisung v Ehewohnung u Haushaltsgegenständen dem Unterhaltsstatut zuzuordnen ist. Im Verhältnis zum Iran ist auch insoweit vorrangig Art 8 III des deutsch-iranischen Niederlassungsabk v 17.2.29 (s dazu Art 17a EGBGB Rn 3). Seit dem 1.1.02 ist Art 17a EGBGB spezielle Kollisionsnorm für das Zuweisungsstatut, wenn Haushaltsgegenstände u Ehewohnung im Inland belegen sind (Neufassung ab 29.1.19). Soweit sie sich im Ausland befinden, bleibt es bei der umstrittenen Rechtslage (s Art 17a EGBGB Rn 5).
Rn 6
Die gesetzliche Unterhaltspflicht muss sich aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben einschl der Unterhaltspflicht ggü einem nichtehelichen Kind. Genannt werden Beziehungen der Familie, was weit auszulegen ist (näher Rauscher/Andrae Rz 4 ff; für einen europaautonomen Familienbegriff Althammer NZFam 16, 629 ff). Erfasst wird auch der Unterhaltsanspruch der ledigen Mutter gg den Vater ihres Kindes (vgl BGH FamRZ 11, 97 Anm Eichel FamRZ 11, 99f). Verwandtschaft besteht, wenn die Personen voneinander oder einer dritten Person abstammen (Rauscher/Andrae Rz 3). Grds werden alle Unterhaltsverpflichtungen abgedeckt, auch solche, die nicht überall bestehen, wie der Verwandtenunterhalt (Bonomi YbPrIntL 08, 339). Dazu gehören etwa Unterhaltsansprüche der Eltern oder Großeltern (Bonomi YbPrIntL 08, 338). Va werden Unterhaltspflichten ggü einem Kind, ungeachtet des Familienstands seiner Eltern, erfasst (Art 1 I).
Rn 7
Ehe umfasst auch die fehlerhafte oder nichtige Ehe (vgl Rauscher/Andrae Art 5 Rz 6). Genannt wird ferner die Schwägerschaft (Rauscher/Andrae Rz 4). Angesichts des weiten Anwendungsbereichs des Art 1 können allerdings ›Verteidigungsmittel‹ nach Art 6 in Betracht kommen (Rauscher/Andrae Einl Rz 25–28). Das Protokoll lässt die Anwendung auf gleichgeschlechtliche Lebenspartner offen. Staaten, die solche Beziehungen nicht anerkennen, ist es gestattet, das Protokoll nicht anzuwenden (Bonomi YbPrIntL 08, 333, 339f). Aus deutscher Sicht kommt eine familienrechtliche Einordnung in Betracht (Gruber IPRax 10, 128, 130; Althammer NZFam 16, 629, 631; Rauscher/Andrae Rz 7; Campbell NZFam 20, 678, 683; allg Eschenbruch/Schürmann/Menne/Dörner Kap 6 Rz 267). Entsprechendes gilt für die gleichgeschlechtliche Ehe (Andrae StAZ 11, 97, 103; Löhnig NZFam 17, 1085, 1086 f; Staud/Mankowski [21] Rz 54). Auf etwaige Unterhaltsansprüche aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann das HaagUntProt ebenfalls angewendet werden (Andrae IPRax 21, 531, 532; Grüneberg/Thorn Rz 7).