Rn 3
Hat der Unterhaltsberechtigte die zuständige Behörde des Staates angerufen, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnl Aufenthalt hat (vgl Art 3 lit a EuUntVO), so ist ungeachtet des Art 3 das dort geltende Recht anzuwenden (III 1). Auch dann gilt also die lex fori, da der Unterhaltsberechtigte ja dieses Forum gesucht hatte (Frankf FamRZ 12, 1501). Er selbst muss das Verfahren einleiten. Ein Herabsetzungsverlangen des Pflichtigen, auf das sich der Berechtigte nach Art 5 EuUntVO eingelassen hat, genügt nicht für ein ›Anrufen‹ (EuGH FamRZ 18, 1753 m Anm Brosch, C-214/17 – Mölk). Ferner erstreckt sich die Wirkung des Abs 3 nur auf das konkrete, nicht auf künftige Verfahren. Auf rückständigen Unterhalt findet Abs 3 S 1 keine Anwendung (öst OGH ZfRV 22, 187). Kann der Unterhaltsberechtigte nach dem Recht des Gerichtsorts keinen Unterhalt erhalten, so ist das Recht des Staates des gewöhnl Aufenthalts der berechtigten Person anzuwenden (III 2). Dies dürfte auch bei einem Unterhaltsverlangen einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung gelten (Rauscher/Andrae Rz 14).
Rn 4
Abs 2 gilt auch nach einem Aufenthaltswechsel des Berechtigten in den Gerichtsort. Wird Unterhalt für einen vergangenen Zeitraum verlangt, in dem sich der Berechtigte in einem anderen MS aufgehalten hat, so kann das am Gerichtsort geltende Recht im Interesse der Vorhersehbarkeit Anwendung finden, wenn die Gerichte des MS des angerufenen Gerichts für Unterhaltsstreitigkeiten, die die Parteien betreffen und sich auf den genannten Zeitraum beziehen, zuständig waren (EuGH FamRZ 18, 1503 m Aufs Lipp IPRax 19, 400, C-83/17 – KP, ECLI:EU:C:2018:265). Die hypothetische Prüfung soll einen ausreichenden Bezug zur jeweiligen familiären Situation sichern.
Rn 5
Das Günstigkeitsprinzip kommt dann zur Geltung, wenn nach dem primär anwendbaren Recht für die betreffende Familienbeziehung (zB Stiefkindschaft) überhaupt keine Unterhaltsverpflichtung besteht (Rauscher/Andrae Rz 17, 19). Gleiches gilt, wenn rechtliche Voraussetzungen wie Altersgrenzen nicht erfüllt sind (HP/Heiderhoff Rz 9; Rauscher/Andrae Rz 17). Nach der weiten Auslegung des EuGH gilt das aber auch dann, wenn der Berechtigte nach dem Recht des Staates, in dem er früher seinen gewöhnl Aufenthalt hatte, keinen Unterhalt erhalten kann, weil er bestimmte nach diesem Recht bestehende Voraussetzungen (zB bzgl Unterhalt für die Vergangenheit) nicht erfüllt (EuGH FamRZ 18, 1503).