Gesetzestext
(1) Die folgenden Bestimmungen sind anzuwenden in Bezug auf Unterhaltspflichten
a) |
der Eltern gegenüber ihren Kindern; |
b) |
anderer Personen als der Eltern gegenüber Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit Ausnahme der Unterhaltspflichten aus in Artikel 5 genannten Beziehungen; und |
c) |
der Kinder gegenüber ihren Eltern. |
(2) Kann die berechtigte Person nach dem in Artikel 3 vorgesehenen Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten, so ist das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden.
(3) Hat die berechtigte Person die zuständige Behörde des Staates angerufen, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, so ist ungeachtet des Artikels 3 das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden. Kann die berechtigte Person jedoch nach diesem Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten, so ist das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person anzuwenden.
(4) Kann die berechtigte Person nach dem in Artikel 3 und in den Absätzen 2 und 3 dieses Artikels vorgesehenen Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten, so ist gegebenenfalls das Recht des Staates anzuwenden, dem die berechtigte und die verpflichtete Person gemeinsam angehören.
A. Privilegierte Unterhaltsberechtigte (Abs 1).
Rn 1
Art 4 enthält eine gestufte Anknüpfung zugunsten bestimmter privilegierter Unterhaltsberechtigter. Inhaltlich weicht die Vorschrift teilw von der Aufenthaltsanknüpfung des Art 3 ab u strebt dabei ein Gleichgewicht zwischen der Maßgeblichkeit der lex fori u dem Günstigkeitsprinzip an (näher Ring FPR 13, 16 ff; Rauscher/Andrae Rz 2 ff). Dies gilt für Unterhaltspflichten der Eltern ggü ihren Kindern (I lit a). Erfasst sind Adoptiv-, nicht aber Stiefeltern (Rauscher/Andrae Rz 9f). Gleiches gilt für Unterhaltspflichten anderer Personen als der Eltern ggü Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, mit Ausnahme der Unterhaltspflichten aus den in Art 5 (Ehegatten) genannten Beziehungen (I lit b). Dazu gehören insb Stiefeltern. Besonders geregelt sind auch die Verpflichtungen der Kinder ggü ihren Eltern (I lit c). Diese Aufzählung ist abschließend (Bonomi YbPrIntL 08, 346).
B. Günstigeres Recht (Abs 2).
Rn 2
Kann der Unterhaltsberechtigte nach dem in Art 3 vorgesehenen Recht des Aufenthaltsortes von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten, so gilt das am Gerichtsort geltende Recht. Im Interesse des favor creditoris ist die lex fori anzuwenden (II), OVG Berlin-Brandbg NVwZ-RR 13, 207 [OVG Nordrhein-Westfalen 07.11.2012 - 6 E 432/12].
C. Recht des Gerichtsorts (Abs 3).
Rn 3
Hat der Unterhaltsberechtigte die zuständige Behörde des Staates angerufen, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnl Aufenthalt hat (vgl Art 3 lit a EuUntVO), so ist ungeachtet des Art 3 das dort geltende Recht anzuwenden (III 1). Auch dann gilt also die lex fori, da der Unterhaltsberechtigte ja dieses Forum gesucht hatte (Frankf FamRZ 12, 1501). Er selbst muss das Verfahren einleiten. Ein Herabsetzungsverlangen des Pflichtigen, auf das sich der Berechtigte nach Art 5 EuUntVO eingelassen hat, genügt nicht für ein ›Anrufen‹ (EuGH FamRZ 18, 1753 m Anm Brosch, C-214/17 – Mölk). Ferner erstreckt sich die Wirkung des Abs 3 nur auf das konkrete, nicht auf künftige Verfahren. Auf rückständigen Unterhalt findet Abs 3 S 1 keine Anwendung (öst OGH ZfRV 22, 187). Kann der Unterhaltsberechtigte nach dem Recht des Gerichtsorts keinen Unterhalt erhalten, so ist das Recht des Staates des gewöhnl Aufenthalts der berechtigten Person anzuwenden (III 2). Dies dürfte auch bei einem Unterhaltsverlangen einer öffentliche Aufgaben wahrnehmenden Einrichtung gelten (Rauscher/Andrae Rz 14).
Rn 4
Abs 2 gilt auch nach einem Aufenthaltswechsel des Berechtigten in den Gerichtsort. Wird Unterhalt für einen vergangenen Zeitraum verlangt, in dem sich der Berechtigte in einem anderen MS aufgehalten hat, so kann das am Gerichtsort geltende Recht im Interesse der Vorhersehbarkeit Anwendung finden, wenn die Gerichte des MS des angerufenen Gerichts für Unterhaltsstreitigkeiten, die die Parteien betreffen und sich auf den genannten Zeitraum beziehen, zuständig waren (EuGH FamRZ 18, 1503 m Aufs Lipp IPRax 19, 400, C-83/17 – KP, ECLI:EU:C:2018:265). Die hypothetische Prüfung soll einen ausreichenden Bezug zur jeweiligen familiären Situation sichern.
Rn 5
Das Günstigkeitsprinzip kommt dann zur Geltung, wenn nach dem primär anwendbaren Recht für die betreffende Familienbeziehung (zB Stiefkindschaft) überhaupt keine Unterhaltsverpflichtung besteht (Rauscher/Andrae Rz 17, 19). Gleiches gilt, wenn rechtliche Voraussetzungen wie Altersgrenzen nicht erfüllt sind (HP/Heiderhoff Rz 9; Rauscher/Andrae Rz 17). Nach der weiten Auslegung des EuGH gilt das aber auch dann, wenn der Berechtigte nach dem Recht des Staates, in dem er früher seinen gewöhnl Aufenthalt hatte, keinen Unterhalt erhalten kann, weil er bestimmte nach diesem Recht bestehende Voraussetzungen (zB bzgl Unterhalt für die Vergangenheit) nicht erfüllt (EuGH FamRZ 18, 1503).
D. Gemeinsame Staatsangehörigkeit (Abs 4).
Rn 6
Erst an letzter Stelle kom...