Gesetzestext
(1) Sind Personenschäden durch ein Produkt oder gleiche Produkte mit demselben Fehler verursacht worden, so haftet der Ersatzpflichtige nur bis zu einem Höchstbetrag von 85 Millionen Euro.
(2) Übersteigen die den mehreren Geschädigten zu leistenden Entschädigungen den in Absatz 1 vorgesehenen Höchstbetrag, so verringern sich die einzelnen Entschädigungen in dem Verhältnis, in dem ihr Gesamtbetrag zu dem Höchstbetrag steht.
Rn 1
§ 10 begrenzt die Ersatzpflicht bei nach dem ProdHaftG zu ersetzenden Personenschäden auf einen Höchstbetrag. Die Regelung, die einem in Deutschland für Gefährdungshaftungen verbreiteten Grundsatz folgt, gilt nicht für Sachschäden und nicht für mit Ansprüchen aus dem ProdHaftG konkurrierende Ansprüche auf Ersatz von Personenschäden. § 10 geht mit der Einbeziehung von Schäden, die nur durch ein Produkt verursacht wurden (Einzelschäden), über Art 16 ProdHaftRL hinaus. Die Richtlinienkonformität dieses Erst-recht-Schlusses des deutschen Gesetzgebers ist str (abgelehnt zB von Staud/Oechsler § 10 Rz 6; Erman/Wilhelmi § 10 Rz 1; BeckOGK/Spickhoff § 10 Rz 6 ff; befürwortet zB von Soergel/Krause § 10 Rz 2 mwN; offengelassen von MüKo/Wagner § 10 Rz 3). Angesichts der Prämisse einer Vollharmonisierung (Vor ProdHaftG Rn 3, § 15 Rn 2) erscheint sie problematisch, zumal der EuGH in Bezug auf eine weitere Option (Art 15 I lit b ProdHaftRL) gerade keine ›Zwischenlösungen‹ der Mitgliedstaaten zugelassen hat (EuGH Slg 02, I-3827 Rz 47). Andererseits ist zu bedenken, dass die Haftungshöchstgrenze bei einem Einzelschaden noch seltener erreicht wird als bei einem Serienschaden. Bemerkenswerterweise hat die Kommission die deutsche Regelung nicht beanstandet und keine Auswirkungen der Höchstgrenze insgesamt auf das Funktionieren des Binnenmarktes festgestellt (s insb KOM [00] 893 endg 22). Trotzdem wäre in einem entsprechenden Fall eine Vorlage an den EuGH sinnvoll.
Rn 2
§ 10 I legt den Höchstbetrag für Personenschäden durch ein einzelnes Produkt (Einzelschäden) oder durch mehrere gleiche Produkte mit demselben Fehler (Serienschäden) auf 85 Mio EUR fest. Ein Serienschaden liegt jedenfalls bei einem einheitlichen Konstruktions- oder Instruktionsfehler, der sich auf die gesamte Produktserie erstreckt, vor. Str ist, ob gleichartige Fabrikationsfehler innerhalb einer Produktserie ebenfalls als ›derselbe Fehler‹ iSd § 10 I zu betrachten sind. Dagegen spricht der eindeutige Wortlaut von § 10 I, weiterhin Art 16 I der RL (›mit demselben Fehler‹, vgl etwa Erman/Wilhelmi § 10 Rz 2; NK-BGB/Katzenmeier § 10 Rz 1), dafür allerdings der Zweck des § 10 I, die Haftungsbegrenzung auf alle einheitlichen Fehler zu erstrecken (dazu insb MüKo/Wagner § 10 Rz 4; Soergel/Krause § 10 Rz 2): Es leuchtet nicht ein, warum ein Fabrikationsfehler, der durch eine falsche Einstellung einer Maschine verursacht wird (Bsp von Staud/Oechsler § 10 Rz 8), anders zu behandeln sein soll als ein Konstruktionsfehler, der alle Produkte betrifft. Daher erscheint eine Gleichbehandlung angebracht. Dafür spricht auch, dass eine Anwendung des § 10 I möglich erscheint, wenn man sich von den klassischen Fehlerkategorien löst: Die gleichen Produkte der Serie haben denselben Fehler, der zwischen den ›klassischen‹ Kategorien (dazu s.o. § 3 Rn 7) der Konstruktions- und Fabrikationsfehler (Ausreißer) anzusiedeln ist und von § 10 nach dessen Sinn und Zweck erfasst werden sollte.
Rn 3
Bei der Berechnung des Höchstbetrags sind alle Schadensersatzleistungen für Personenschäden (nicht aber für Sachschäden) einzubeziehen, also insb auch Rentenzahlungen (§ 9). Str ist die Anrechnung von Leistungen nach ausländischem Produkthaftungsrecht: Eine volle Anrechnung (dafür wohl zB Erman/Wilhelmi § 10 Rz 2; NK-BGB/Katzenmeier § 10 Rz 1) könnte Geschädigte in Deutschland benachteiligen – etwa wenn der Haftungshöchstbetrag durch Klagen im Ausland (wo größtenteils keine Haftungshöchstsummen gelten) bereits erreicht wurde; eine Ablehnung der Anrechnung könnte dagegen den Hersteller benachteiligen, insb wenn er bei seinen Lieferungen nach Deutschland mit den Haftungshöchstbeträgen kalkuliert hat. Daher erscheint es angemessen, mit Hilfe einer fiktiven Quote für die Auslandsgeschädigten iSd § 10 II eine Teil-Anrechnung vorzunehmen (dazu insb Rolland Rz 10; Staud/Oechsler § 10 Rz 15; MüKo/Wagner § 10 Rz 11 mwN).
Rn 4
§ 10 II regelt im Ansatz den Innenausgleich zwischen mehreren Geschädigten bei Überschreiten des Höchstbetrags; er richtet sich nach dem Verhältnis der Anteile der einzelnen Ansprüche am Gesamtbetrag. Ohne eine verfahrensmäßige Koordination der Ansprüche sämtlicher Geschädigten (für die keine Regelung existiert) erscheint ein solcher Innenausgleich allerdings bei Serienschäden kaum praktisch durchführbar (krit auch zB Staud/Oechsler § 10 Rz 13 f; Soergel/Krause § 10 Rz 3; Erman/Wilhelmi § 10 Rz 3; NK-BGB/Katzenmeier § 10 Rz 1).