Rn 4
Nach § 3 I lit a ist für die Ermittlung der berechtigten Sicherheitserwartungen zunächst die Darbietung des Produkts, also seine Vorstellung ggü der Allgemeinheit bzw dem konkreten Benutzer (BTDrs 11/2447, 18), zu berücksichtigen. Sie erfolgt insb in Produktbeschreibungen (zu Produktvideos Ruttloff/E Wagner/Schuster BB 22, 67, 70), Gebrauchsanweisungen und Produktwerbung und kann – im Vergleich zum Angebot ohne nähere Ausführungen zum Produkt – sowohl zu einer Verschärfung als auch zu einer Milderung des Haftungsstandards führen (Schlechtriem VersR 86, 1033, 1042; Cahn ZIP 90, 482, 486; Soergel/Krause § 3 Rz 5). Bei Haftungsbeschränkungen ist jedoch § 14 zu beachten, daher sind nur sachlich gerechtfertigte Warnungen oder Instruktionen zulässig (s insb Staud/Oechsler § 3 Rz 73; Soergel/Krause § 3 Rz 5). Andererseits muss der Hersteller nicht vor Gefahren warnen, deren Kenntnis vom Nutzer des Produkts zu erwarten ist (s zB Hamm OLGR 00, 348; Ddorf VersR 03, 912, 914 ff), zB vor Gesundheitsgefahren beim Verzehr von Süßigkeiten (Ddorf VersR 03, 912, 914 ff), Alkoholgenuss (Hamm NJW 01, 1654, 1655) oder beim Konsum von Tabakwaren (Hamm NJW 05, 295, 296; LG Bielefeld NJW 00, 2514, 2515). Für die Darbietung können auch Aufmachung, Vertrieb und Preis relevant sein (Köln TranspR 95, 387, 391). Anpreisungen oder Übertreibungen iRv Produktwerbung (zB ›völlig ungefährliches‹ Produkt) können auch bei der Haftung nach dem ProdHaftG als einer von mehreren Faktoren eine Rolle spielen. Vielfach dürfte jedoch insoweit in erster Linie das UWG eingreifen, daneben möglicherweise die Sachmängelgewährleistungsregeln oder § 823 I BGB.– Unter Rückgriff auf die Darbietung des Produkts (mitunter in Kombination mit dem Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann) lassen sich etliche Fallgruppen der traditionellen deliktsrechtlichen Produkthaftung in die Haftung nach dem ProdHaftG integrieren, zB eine Haftung für Instruktionsfehler (§ 823 BGB Rn 186; Bambg VersR 10, 403; Ddorf OLGR 98, 145; VersR 03, 912, 916; RuS 04, 37; Frankf NJW-RR 99, 27, 29 f; Kobl NJW-RR 06, 169, 170 f; Zweibr VersR 03, 255, 256) oder für wirkungslose Produkte (BTDrs 11/2447, 18; § 823 BGB Rn 39), allerdings stets nur, wenn sich aus der Darbietung des Produkts Sicherheitsrisiken ergeben. Eine Darbietung durch einen Dritten (der kein Hersteller iSd § 4 ist) kann nur haftungsrelevant sein, wenn sie durch den Hersteller veranlasst oder zumindest wissentlich geduldet ist (ähnl NK-BGB/Katzenmeier § 3 Rz 6); insofern dürften die allg zivilrechtlichen Grundsätze über die Wissenszurechnung (§ 166 BGB Rn 13 ff) heranzuziehen sein. Die Zurechnung reicht hier weniger weit als in § 434 III 3 BGB (der zudem die umgekehrte Konstellation – Zurechnung von Äußerungen des Herstellers zum Verkäufer – betrifft).
Rn 5
Zu berücksichtigen ist gem § 3 I lit b auch der Gebrauch des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann. Das ist neben dem bestimmungsgemäßen Gebrauch auch ein vorhersehbarer oder gar üblicher Fehlgebrauch (BTDrs 11/2447, 18; BGH NJW 13, 1302 Rz 14), bei dem allerdings § 6 I zu beachten ist. Hauptproblem ist die wertende Abgrenzung der Verantwortlichkeiten von Hersteller und Geschädigtem. Als Leitlinie lässt sich festhalten: Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch haftet idR der Hersteller allein, bei vorhersehbarem Fehlgebrauch kann ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen sein und bei unvorhersehbarem Fehlgebrauch kommt eine Haftung des Herstellers nur in Betracht, wenn sie mit Hilfe anderer sicherheitsrelevanter Umstände zu begründen ist. Bsp: vorhersehbarer Fehlgebrauch bejaht bei technisch möglicher Veränderung des Produkts durch den Geschädigten (Celle VersR 07, 254, allerdings ohne Prüfung eines möglichen Mitverschuldens), Verwendung eines Mountainbikes für Sprünge, Kunststücke, Treppen- und Waldfahrten (Nürnbg NZV 14, 523, 524f), Verarbeiten von Fertigbeton ohne wasserabweisende Schutzkleidung (Bambg VersR 10, 403), Fehlgebrauch von an Personen unter 18 Jahren abgegebenen Feuerwerkskörpern durch Kinder (LG Flensburg VersR 98, 66, 67), Befüllen von Brennbehältern in einem Kamin, ohne diese herauszunehmen, wenn dabei Ethanol verschüttet wird (LG Göttingen 2 O 218/09), Verwendung von Bioethanol statt Brennpaste bei einer Tischfeuerstelle (Naumbg 1 U 38/12), verneint für fachwidrige Installation eines ua in Baumärkten verkauften Heißwassergeräts (BGH NJW 13, 1302 Rz 14), bei Auslösung der automatischen Windschutzanlage durch spielende Kinder in der Nähe des Prototyps eines Boxenlaufstalls in einem landwirtschaftlichen Betrieb (Kobl BeckRS 09, 00578) sowie aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls bei Reinigung von Motorradfelgen mit einem Felgenreiniger durch Erzeugung eines Sprühnebels, der andere Motorradteile beschädigte (Kobl DAR 22, 505, 506). Wann ein Fehlgebrauch vorliegt, ist insb anhand des vorgesehenen Verwendungszwecks und der Instruktionen zu beurteilen (s.a. – mit tw anderer Differenzierung als die Rs...