I. Allgemeines.
Rn 3
Gem § 27 S 1 findet ein VA ausnw nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei § 27 um einen Ausnahmetatbestand handelt, an den strengere Maßstäbe anzulegen sind als bei der Prüfung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben (BGH FamRZ 93, 176, 178; 07, 996 Rz 26). Das Erfordernis der groben Unbilligkeit beschränkt die Anwendung der Härteklausel zudem auf Fälle, in denen die starre Durchführung des Ausgleichs nach den gesetzlichen Bestimmungen dem Grundgedanken des VA in unerträglicher Weise widersprechen würde (BGH FamRZ 08, 1836 Rz 11; 31.1.24 – XII ZB 259/23 Rz 9). Diese Feststellung kann nur unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls getroffen werden (§ 27 S 2).
Rn 4
Das Gericht hat insb die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Situation der Eheleute zu berücksichtigen und alle bereits bekannten oder vorhersehbaren Lebensumstände in Betracht zu ziehen, die ihre Versorgungslage beeinflussen (BGH FamRZ 13, 690 Rz 14; 16, 35 Rz 20; 31.1.24 – XII ZB 259/23 Rz 9). Insoweit kann die Aufstellung einer ›Vorsorgevermögensbilanz‹ auf Basis der Kapitalwerte bzw korrespondierenden Kapitalwerte aller ehezeitlichen Anrechte der Ehegatten Grundlage für die weitere Betrachtung sein (BTDrs 16/10144, 68), in die dann auch etwaige Vermögensverschiebungen über den Zugewinnausgleich und eine bereits getroffene (wenn auch nicht notwendig schon rechtskräftige) Entscheidung über den nachehelichen Unterhalt einzubeziehen sind. Darüber hinaus können auch persönliche Umstände oder objektive Gegebenheiten im Einzelfall von Bedeutung sein (BGH FamRZ 12, 845 Rz 16 ff).
Rn 5
[nicht besetzt]
II. Fallgruppen.
Rn 6
Der tatbestandliche Regelungsbereich des § 27 wurde bewusst offen formuliert, um mehr Spielraum zu lassen (BTDrs 16/10144, 67). Die in der bisherigen Rspr im Interesse der Rechtssicherheit entwickelten Fallgruppen von Härtefällen bilden die Grundlage für die Anwendung der Härteklausel. Auf sie braucht allerdings nicht zurückgegriffen zu werden, soweit ein VA schon aus anderen Gründen ausscheidet. Das gilt etwa bei geringen Ausgleichswerten (§ 18), bei einer Vereinbarung der Ehegatten nach § 6 I 2 Nr 2 oder bei einer Ehe von kurzer Dauer (wenn kein Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs gestellt wird, § 3 III). Auch bedarf es keiner Härtefallregelung im Wertausgleich bei der Scheidung, soweit betriebliche Anrechte noch verfallbar sind (§ 19 II Nr 1).
1. Lange Trennungszeit.
Rn 7
Die Inanspruchnahme eines Ehegatten kann (zumindest tw) grob unbillig sein, wenn die Ehegatten vor Ende der Ehezeit lange Zeit getrennt gelebt haben und es daher in einem wesentlichen Teil der Ehe an einer den VA rechtfertigenden Versorgungsgemeinschaft gefehlt hat (BGH FamRZ 80, 29, 36; 16, 35 Rz 22). Allerdings ist in solchen Fällen das Schutzbedürfnis des ausgleichsberechtigten Ehegatten, der auf den Fortbestand der Ehe und damit der Versorgungsgemeinschaft vertrauen durfte, angemessen zu berücksichtigen (BGH FamRZ 81, 130, 132; 06, 769). Va während der Zeit, in der der Ausgleichsberechtigte gemeinsame Kinder betreut, kann dieser darauf vertrauen, weiter an dem Versorgungserwerb des anderen Ehegatten zu partizipieren; deshalb kommt eine Kürzung des VA für diese Zeit regelmäßig nicht in Betracht (BGH FamRZ 05, 2052, 2053; anders jedoch für den Fall, dass das vom Ausgleichsberechtigten betreute, als ehelich geltende Kind unstreitig nicht vom Ausgleichspflichtigen abstammt, BGH FamRZ 08, 1838 Rz 33 ff). Auch wenn der Ausgleichspflichtige über viele Jahre hinweg widerspruchslos Trennungsunterhalt gezahlt hat, ohne vom Ausgleichsberechtigten die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit zu fordern, kann dieser ein schutzwürdiges Vertrauen auf Teilhabe an den vom Ausgleichspflichtigen während des Getrenntlebens erworbenen Versorgungsanwartschaften haben (BGH FamRZ 06, 769, 771; Karlsr FamRZ 21, 22, 24; Zweibr FamRZ 21, 25, 26). Für die Dauer der Trennung lässt sich kein allgemeiner Maßstab anlegen. Von maßgeblicher Bedeutung ist das Verhältnis der Trennungszeit zur Zeit des tatsächlichen Zusammenlebens (BGH FamRZ 07, 1964 Rz 12; 13, 106 Rz 17). Sind außer einer langen Trennungszeit keine weiteren Härtegründe vorhanden, kommt ein vollständiger Ausschluss des VA nicht in Betracht, sondern lediglich die Ausklammerung der auf die Trennungszeit entfallenden Anwartschaften beider Eheleute. Praktisch geschieht dies dadurch, dass die auf die Trennungszeit entfallenden Anrechte gesondert zu ermitteln und von den auf die gesamte Ehezeit entfallenden Anwartschaften abzuziehen sind. Nicht zulässig ist dagegen eine Vorverlegung des Ehezeitendes (BGH FamRZ 01, 1444, 1446; 06, 769, 771; vgl § 3 Rn 2).
2. Gestaltung der Ehe.
Rn 8
Liegt ein Fall der klassischen Haushaltsführungsehe vor, kommt ohne Hinzutreten weiterer Umstände ein Ausschluss nicht in Betracht (BVerfG FamRZ 03, 1173). In dem Fall der ›phasenverschobenen Ehe‹ (insb wenn ein Ehegatte in der Ehezeit schon Rente bezog und der andere erst anfing, Altersvorsorge zu betreiben) kann e...