Rn 4
Gem § 19 II Nr 1 sind Anrechte, die dem Grunde oder der Höhe nach noch nicht hinreichend verfestigt sind, nicht ausgleichsreif. Damit soll verhindert werden, dass Anwartschaften ausgeglichen werden, bei denen im Zeitpunkt der Scheidung noch nicht hinreichend sicher ist, ob sie sich tatsächlich später zu einem Rechtsanspruch auf Versorgungsleistungen entwickeln werden. Bereits laufende Versorgungen kommen also insoweit nicht in Betracht, weil sich die Anwartschaft hier bereits zum Rechtsanspruch verfestigt hat und damit Ausgleichsreife eingetreten ist. Hinreichend verfestigt ist ein Anrecht insoweit, als der Versorgungswert dem Grund und der Höhe nach durch die künftige – insb die betriebliche und berufliche – Entwicklung des Versorgungsanwärters nicht mehr beeinträchtigt werden kann und somit bereits endgültig gesichert ist (BGH FamRZ 14, 282 Rz 21; 18, 894 Rz 23). II Nr 1 erfasst, wie ausdrücklich hervorgehoben wird, insb noch verfallbare Anwartschaften iSd BetrAVG. Unverfallbar sind nur diejenigen Anwartschaften, deren Versorgungswert nach den maßgeblichen Bestimmungen durch die künftige betriebliche oder berufliche Entwicklung der versicherten Person nach dem Ende der Ehezeit nicht mehr beeinträchtigt werden kann, sondern ihr auch dann verbleibt, wenn sie vor Eintritt des Versicherungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Ein Versorgungsanrecht kann dabei sowohl unverfallbare als auch verfallbare Bestandteile enthalten (BGH FamRZ 18, 894 Rz 21). Nach Betriebsrentenrecht tritt Unverfallbarkeit dem Grunde nach grds erst nach einer bestimmten Zeit der Betriebszugehörigkeit ein. In diesen Fällen verliert die versicherte Person ihr Anrecht – mit Ausnahme der Teile, die allein auf ihren eigenen Beiträgen beruhen – ersatzlos, wenn sie vor Ablauf der Unverfallbarkeitsfrist aus dem Betrieb ausscheidet. Da auf dem privaten Arbeitsmarkt eine relativ hohe Fluktuation herrscht, kann erst mit Eintritt der Unverfallbarkeit von einer so hinreichenden Sicherung des Anrechts ausgegangen werden, dass seine Einbeziehung in den Wertausgleich bei Scheidung zu rechtfertigen ist. Dies gilt umso mehr, als eine Abänderung des einmal durchgeführten Wertausgleichs betrieblicher Anrechte ausgeschlossen ist (vgl § 225 I FamFG iVm § 32 VersAusglG). Von den Unverfallbarkeitsfristen sind sog Wartezeiten zu unterscheiden. Als solche werden im Allgemeinen Mindestanwartschaftszeiten bezeichnet, nach deren Ablauf frühestens Leistungen im Versorgungsfall gewährt werden. Sie gelten gleichermaßen für betriebstreue wie für bereits ausgeschiedene Mitarbeiter und laufen unabhängig von der Fortdauer der Betriebszugehörigkeit (§ 1b I 5 BetrAVG), können also auch nach dem Ausscheiden aus dem Betrieb noch erfüllt werden. Gelegentlich wird der Begriff der Wartezeit in Versorgungsordnungen aber auch (nur) iS einer Mindestbeschäftigungszeit verwendet. Dann handelt es sich um eine besondere vertragliche Unverfallbarkeitsfrist.
Rn 5
Betriebliche Ruhegeldordnungen sehen häufig eine Wertsteigerung des Versorgungsanrechts während der Anwartschaftsphase in Abhängigkeit von dem jeweils letzten (Durchschnitts-)Einkommen der begünstigten Person vor, jedoch nur so lange, wie diese dem Betrieb angehört (endgehaltsbezogene Versorgungszusagen). Bei solchen Anrechten ist die Einkommensdynamik des Versorgungsanrechts jedenfalls hinsichtlich der Beschäftigungszeiten vor dem 1.1.18 vom weiteren Verbleib im Betrieb abhängig (§§ 2a Abs. 1, 30g Abs. 1 BetrAVG) und damit bis zum Eintritt des Versorgungsfalles noch verfallbar (BGH FamRZ 18, 894 Rz 23). Daraus folgt, dass das Anrecht im Wertausgleich bei der Scheidung nur auf der Basis des bei Ehezeitende maßgebenden Einkommens berechnet werden kann. Ist die begünstigte Person nach Ende der Ehezeit aus dem Betrieb ausgeschieden oder ist der Versorgungsfall eingetreten, nachdem das Anrecht dem Grunde nach unverfallbar geworden war, ist das Anrecht auch hinsichtlich der nachehezeitlichen Einkommensdynamik unverfallbar geworden. Darin liegt eine auf den Ehezeitanteil zurückwirkende tatsächliche Änderung iSv § 5 II 2, die in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren über den Wertausgleich bei der Scheidung berücksichtigt werden kann (BGH FamRZ 18, 894 Rz 23; 19, 1314 Rz 23). Soweit ein betriebliches Anrecht oder ein Teil davon (zB die Einkommensdynamik) erst nach der Entscheidung über den Wertausgleich bei der Scheidung unverfallbar geworden ist, scheidet eine Korrektur iR eines Abänderungsverfahrens nach neuem Recht aus, da Anrechte der betrAV nicht zu den in § 32 genannten Regelversorgungen gehören (§ 225 I FamFG). Insoweit kann aber ein schuldrechtlicher (Rest-)Ausgleich nach § 20 verlangt werden (BGH FamRZ 15, 1688 Rz 14 ff; Kobl FamRZ 17, 1213, 1214). Ist das betriebliche Anrecht in einer nach früherem (vor dem 1.9.09 geltenden) Recht ergangenen Entscheidung dem schuldrechtlichen VA vorbehalten geblieben, kann das unverfallbar gewordene betriebliche Anrecht oder die mit der unverfallbar gewordenen Einkommensdynamik...