Rn 4
Wenn ein Vertrag der Wirksamkeitskontrolle standhält, muss das Gericht – bei entspr Anhaltspunkten – iR einer Ausübungskontrolle prüfen, ob und inwieweit es einem Ehegatten nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich im Scheidungsfall gegenüber dem anderen Ehegatten auf eine ihn begünstigende Regelung zu berufen. Dafür ist entscheidend, ob sich im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe aus dem vereinbarten Ausschluss des VA eine evident einseitige Lastenverteilung ergibt, deren Hinnahme für den betroffenen Ehegatten unzumutbar ist. Das kann insb der Fall sein, wenn die tatsächliche einvernehmliche Lebensgestaltung von der Lebensplanung bei Vertragsschluss grundlegend abweicht (BGH FamRZ 13, 770 Rz 19; 20, 1347 Rz 40). Auch insoweit kommt es wesentlich auf den Rang des ausgeschlossenen gesetzlichen Anspruchs an: Je gewichtiger die Scheidungsfolge ist, umso schwerwiegender müssen die Gründe sein, die für ihren Ausschluss sprechen (BGH FamRZ 04, 601, 606). Ein aufgrund beiderseitiger Erwerbstätigkeit aus Sicht bei Vertragsschluss nicht zu beanstandender vertraglicher Ausschluss des VA kann bei späterer Scheidung zB deshalb nicht mehr hinnehmbar sein, weil die Ehefrau im Hinblick auf die Betreuung von in der Ehe geborenen Kindern ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben und in langjähriger Ehe keine für die spätere Existenzsicherung im Alter ausreichende Versorgung mehr hat aufbauen können (BGH FamRZ 13, 195 Rz 36). Andererseits muss ein Ehegatte eine in der Ehe eingetretene Verschlechterung seiner Versorgungssituation hinnehmen, wenn die Ehegatten die faktische Grundlage ihres Ehevertrages während der Ehe einverständlich geändert haben, ohne den Ehevertrag entspr anzupassen (BGH FamRZ 14, 1978 Rz 24).
Rn 5
Auch ohne eine Änderung der bei Vertragsschluss angenommenen tatsächlichen Entwicklung kann die Anpassung eines Ehevertrages aber wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) geboten sein. Insoweit kann ebenfalls Anknüpfungspunkt sein, dass sich die Lebensverhältnisse der Ehegatten vor dem Scheitern der Ehe abw von der ursprünglichen Lebensplanung entwickelt haben. Eine Vertragsanpassung kann aber auch verlangt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss wesentlich verändern und die Vertragsparteien – hätten sie die Veränderung vorausgesehen – den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten (BGH FamRZ 18, 1415 Rz 20; 20, 1347 Rz 43). Sind jedoch keine ehebedingten Versorgungsnachteile eingetreten, hält ein vereinbarter Ausschluss des VA der Ausübungskontrolle stand (BGH FamRZ 18, 1415 Rz 31; Köln FamRZ 19, 1689, 1690).
Rn 6
Ist einem Ehegatten die Berufung auf eine ihm günstige Vertragsklausel verwehrt, so kommt in erster Linie eine Vertragsanpassung in Betracht. Das Gericht hat diejenige Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Parteien in der nunmehr eingetretenen Situation in ausgewogener Weise Rechnung trägt (BGH FamRZ 04, 601, 606; 14, 1978 Rz 25). Eine Klausel, die einen Ehegatten in nicht hinnehmbarem Maße einseitig belastet, ist zu modifizieren oder – wenn dies nicht ausreicht – zu ignorieren und durch die Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zu ersetzen. Die übrigen vertraglichen Regelungen bleiben davon grds unberührt bzw sind nach den für sie geltenden Maßstäben gesondert zu prüfen. Der durch den Ausschluss des VA benachteiligte Ehegatte ist durch die Anpassung der Vereinbarung nicht besser zu stellen, als er ohne die Ehe und einen damit verbundenen Erwerbsverzicht stünde (BGH FamRZ 07, 974 Rz 28; 14, 1978 Rz 26). Der unterlassene Erwerb eigener Versorgungsanrechte in der Ehezeit kann dem Ausgleichsberechtigten nicht vorgehalten werden, wenn dies auf einer gemeinsamen Lebensplanung beruht oder von dem Ausgleichspflichtigen während bestehender Lebensgemeinschaft gebilligt oder zumindest geduldet worden ist (BGH FamRZ 13, 770 Rz 32). In Fällen der sog Funktionsäquivalenz von VA und Zugewinnausgleich ist ein ›Hinübergreifen‹ auf das andere vermögensbezogene Ausgleichssystem iRd Ausübungskontrolle in Betracht zu ziehen. Dies gilt aber nur in Fällen, in denen ein haushaltsführender Ehegatte, der zugunsten der Familienarbeit auf die Ausübung einer versorgungsbegründenden Erwerbstätigkeit verzichtet hat, im Fall der Scheidung durch den VA keine Kompensation für seine Nachteile beim Aufbau von Versorgungsvermögen erlangt, weil sein erwerbstätiger Ehegatte aufgrund seiner individuellen Vorsorgestrategie keine nennenswerten Versorgungsanrechte erworben, sondern seine Altersvorsorge – bei vereinbarter Gütertrennung – auf die Bildung von Privatvermögen gerichtet hat. In solchen Konstellationen kann es im Einzelfall geboten sein, dem haushaltsführenden Ehegatten zum Ausgleich für die entgangenen Versorgungsanrechte einen modifizierten Zugewinnausgleich zu gewähren (BGH FamRZ 14, 1978 Rz 31; 18, 1415 Rz 24).