aa) Vorrang der Auslegung.
Rn 19
Eine (ggf ergänzende) Auslegung (allg § 157 BGB Rn 15 ff) hat nach hM Vorrang vor einer Anpassung gem § 10 II (BGH ZMR 19, 518 Rz 8; NZM 16, 727 Rz 18).
bb) Anwendungsbereich.
Rn 20
§ 10 II bezweckt es, unbillige Härten zu beseitigen (BGH ZMR 18, 242 Rz 11; ZMR 16, 713 Rz 11). Nach § 10 II kann verlangt werden: eine vom Gesetz abweichende schuldrechtliche Vereinbarung oder die Anpassung einer bestehenden schuldrechtlichen Vereinbarung (BGH ZMR 12, 793 Rz 8), als Ultima Ratio auch die Änderung oder Aufhebung eines SNRs (BGH ZMR 19, 518 Rz 11; 18, 681 Rz 16), bspw., wenn die entsprechende Fläche oder der Raum zwingend benötigt werden, um unabwendbaren behördlichen Auflagen nachzukommen, und idR nur gegen Zahlung einer Entschädigung (BGH ZMR 18, 681 Rz 16). Dadurch sollen unbillige Härten bei dem die Änderung verlangenden WEigtümer beseitigt werden (BGH ZMR 16, 713 Rz 11; NJW 10, 3296 Rz 19). § 10 II erfasst keine bloße Einzelfallregelung (BGH NZM 10, 205 [BGH 15.01.2010 - V ZR 114/09] Rz 19; zw); besteht eine Beschl-Kompetenz (§ 23 Rn 25 ff), ggf nach § 23 I, ist diese vorrangig (BGH ZMR 11, 485; 10, 778). Etwa eine Klage auf Änderung des Umlageschlüssels für die Betriebskosten ist auf §§ 18 II, 44 I 2 zu stützen (BGH ZMR 11, 485). Die (ggf ergänzende) Auslegung einer Vereinbarung (dazu Rn 19) hat Vorrang vor einer Anpassung (BGH ZMR 16, 713 Rz 18). Eine Änderung der sachenrechtlichen Grundlagen (§ 8 Rn 8) kann nicht verlangt werden (BGH ZMR 19, 518 Rz 11; ZMR 18, 681 Rz 16). Analog kann ein Anspruch auf Zustimmung zur Eintragung der Abänderung in das Grundbuch verlangt werden, wenn man, was streitig ist, die Entsch nach § 10 II nicht unter § 10 III aE subsumiert. Hat ein WEigtümer einen Anspruch auf eine Vereinbarung, so kommt in Betracht, dass er dafür eine Ausgleichszahlung leisten muss (BGH MietRB 17, 163).
cc) Tatbestandsvoraussetzungen.
(1) Unbilligkeit.
Rn 21
Eine Vereinbarung oder deren Änderung kann verlangt werden, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unbillig erscheint. Maßgeblich sind sämtliche Umstände des Einzelfalls (BGH ZMR 23, 55 Rz 44; 19, 518 Rz 26), insb der Rechte und Interessen der anderen WEigtümer (BGH ZMR 23, 55 Rz 44; 10, 542 Rz 31). Abzuwägen sind ua: Gleichbehandlung der WEigtümer (Vor §§ 23–25 Rn 7), Sachgerechtigkeit der Regelung, Veränderung der der Regelung zu Grunde liegenden maßgeblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, deren Vorhersehbarkeit, die Risikoverteilung bei unerwarteten Entwicklungen und das Vertrauen in den Bestand der Vereinbarung (LG Nürnberg-Fürth ZWE 10, 145, 147). Die Gründe der anderen WEigtümer müssen über das rein formale Interesse an der Einhaltung der Vereinbarung/des Gesetzes hinausgehen (BGH ZMR 19, 518 Rz 20). Bei der Abwägung ist zu beachten, ob eine Regelung bei Erwerb des Wohnungseigentums erkennbar war (BGH NJW 10, 2129 Rz 31 = ZMR 10, 542). Die Annahme von Unbilligkeit soll allerdings nicht voraussetzen, dass sich tatsächliche oder rechtliche Umstände nachträglich verändert haben (BGH ZMR 19, 518 Rz 14). Unbilligkeit ist zB angenommen worden, wenn eine Vereinbarung den Gebrauch und die Nutzung eines Raums ausschließt, die nach der baulichen Ausstattung des Raums aber möglich ist, und wenn ferner objektive Umstände dafür sprechen, dass dem betroffenen WEigtümer dieser Gebrauch/diese Nutzung eröffnet werden sollte (BGH ZMR 19, 518 Rz 15 – im Fall ging es allerdings um ein SNR).
(2) Insb Kosten.
Rn 22
Eine – ggf erhebliche Kostenmehrbelastung – ist ein wichtiges, aber kein alleiniges Kriterium für die Beurteilung der Unbilligkeit (BGH ZMR 11, 485). Behauptet der Kläger eine Kostenmehrbelastung, muss diese wenigstens 25 % betragen (Köln FGPrax 08, 57; LG Itzehoe ZWE 17, 263; s.a. BGH ZMR 10, 778: ›Orientierungsgröße‹). Da es um Beseitigung unbilliger Härten geht, ist die Belastung anderer WEigtümer unbeachtlich (BGH ZMR 10, 778). Das Maß der Kostenmehrbelastung ist nie das alleinige Kriterium (BGH ZMR 10, 778). Es ist grds nicht unbillig, dass ein WEigtümer für Einrichtungen des gemE nach dem Verhältnis seines Anteils aufkommen muss, obwohl er sie nicht benutzt und auch nicht benutzen kann (BGH ZMR 10, 542 Rz 31).
(3) Reduktion des ›Entschließungsermessens‹.
Rn 23
Der Anspruch aus § 10 II ist iErg begründet, wenn sich das Entschließungsermessen eines jeden WEigtümers, zu handeln (= für den Anspruch zu stimmen), auf null reduziert hat. Hingegen muss die Ausübung des Auswahlermessens, welche (neue) Regelung getroffen wird, nicht klar sein.
dd) Durchsetzung.
Rn 24
Lässt sich kein Einvernehmen erzielen, kann nach § 43 II Nr 1 gegen die anderen WEigtümer (str) im Wege einer Leistungsklage auf Zustimmung zu der konkret zu benennenden Vereinbarung geklagt werden. Der Anspruch ist auf Zustimmung der übrigen, nicht zuvor verbindlich zustimmenden (s.a. BGH NZM 14, 522 Rz 10) WEigtümer zum Abschluss einer Änderungsvereinbarung gerichtet (BGH ZMR 16, 713 = NZM 16, 727 Rz 17; ZMR 10, 542 Rz 19). Hat ein WEigtümer bereits verbindlich erklärt, dem Verlangten zuzustimmen, reicht eine Klage gegen die anderen WEigtümer aus (BGH ZMR 18, 242 Rz 12; NJW-RR 14, 903 Rz 10)...