Rn 12

Die Europäische Union verfügt bereits seit ihrer Gründung über Bestimmungen, welche in das Zivil- und besonders das Schuldrecht der Mitgliedsstaaten eingreifen (s nur Art 101, 102 AEUV). Die Grundfreiheiten können jedenfalls die zwingenden Normen des Schuldrechts einschränken oder von der Anwendbarkeit ausschließen (s dazu Remien Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages 178 ff). Für dispositive Bestimmungen ist dies umstr (dafür Basedow FS Mestmäcker 347, 354 ff). Private sind freilich nur ausnahmsweise selbst Adressaten der Grundfreiheiten. Einzelne können sich auf die Grundfreiheiten zwar ggü staatlichen Einrichtungen berufen, sind jedoch regelmäßig nicht zu deren Einhaltung verpflichtet. Eine Drittwirkung findet nur ausnahmsweise statt (Calliess/Ruffert/Epiney Art 18 Rz 40; Calliess/Ruffert/Kluth Art 57 Rz 44–50).

 

Rn 13

Praktisch erheblich wichtiger ist die umfangreiche Rechtssetzungstätigkeit des Unionsgesetzgebers, die vorwiegend durch von den Mitgliedstaaten umzusetzende Richtlinien erfolgt (für einen jüngeren Überblick über das geltende Sekundärrecht s Riesenhuber Europäisches Vertragsrecht 2006 18 ff). Das so entstehende Umsetzungsrecht unterliegt in Auslegung und Anwendung besonderen Regeln, in deren Zentrum das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung steht (vgl auch Einleitung Rn 31 f). Im Einzelnen müssen die Mitgliedstaaten zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus einer Richtlinie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie gem ihrer Zielsetzung zu gewährleisten (vgl EuGH, 17.6.99, Rs C-336/97, Kommission/Italien, Slg 99, I-3771, Rz 19; EuGH, 5.12.02, Rs C-324/01, Kommission/Belgien, Slg 02, I-11197, Rz 18). Jedoch hat der EuGH entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm ggü eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl EuGH Urteile vom 14.7.94, Rs C-91/92, Faccini Dori, Slg 94, I-3325, Rz 20; EuGH, 5.10.04, Rs C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer ua, Slg 04, I-8835, Rz 108). Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, muss allerdings bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (vgl EuGH, 5.10.04, Rs C-397/01 bis C-403/01, Pfeiffer ua, Slg 04, I-8835, Rz 120). Ggf kann auch eine unionsrechtskonforme Rechtsfortbildung geboten sein (BGH NJW 09, 427 [BGH 26.11.2008 - VIII ZR 200/05]).

 

Rn 14

Auch im Bereich des Privatrechts kann es zu einer Haftung von Mitgliedstaaten wegen mangelhafter Umsetzung oder Durchführung von Unionsrecht kommen (vgl EuGH, 19.11.91, Rs C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg 1991, I-5357; EuGH, 8.10.96, Rs C-178/94, Dillenkofer, Slg I-4845). Droht ein Zivilverfahren mangels ordnungsgemäßer Richtlinienumsetzung verloren zu gehen, kann es daher angezeigt sein, der Bundesrepublik Deutschland zur Erleichterung des Haftungsprozesses bereits in diesem Verfahren den Streit zu verkünden (idS bereits Schmidt-Kessel NJW 01, 97, 99 Fn 30).

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