Leitsatz
1. Die in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts von Diplompsychologen, die keine Ärzte sind, ausgeführten psychotherapeutischen Behandlungen stellen keine mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze im Sinn von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der 6. EG-RL dar, es sei denn, dass diese Behandlungen tatsächlich als Nebenleistungen zu einer die Hauptleistung darstellenden Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger erbracht werden. Dagegen ist der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff ärztliche Heilbehandlung dahin auszulegen, dass er sämtliche Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinn von Absatz 1 Buchstabe c und insbesondere Leistungen von Personen umfasst, die keine Ärzte sind, aber arztähnliche Leistungen erbringen, wie es bei psychotherapeutischen Behandlungen durch Diplompsychologen der Fall ist.
2. Die Anerkennung einer Einrichtung im Sinn von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der 6. EG-RL setzt kein förmliches Anerkennungsverfahren voraus und muss sich nicht unbedingt aus innerstaatlichen Vorschriften mit steuerrechtlichem Charakter ergeben. Enthalten die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung Beschränkungen, die die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch die genannte Bestimmung eingeräumten Ermessens überschreiten, so ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger gleichwohl als andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art im Sinn dieser Bestimmung anzusehen ist.
3. Die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der 6. EG-RL ist von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig, so dass psychotherapeutische Behandlungen, die eine Stiftung des privaten Rechts mit bei ihr beschäftigten Psychotherapeuten ausführt, unter diese Befreiung fallen können.
4. Ein Steuerpflichtiger kann sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens vor einem nationalen Gericht auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der 6. EG-RL berufen, um gegen die Anwendung einer mit dieser Bestimmung unvereinbaren innerstaatlichen Regelung vorzugehen.
Normenkette
Art. 13 Teil A Buchst. Abs.1 Buchst. b und c, Abs. 2 der 6. EG-RL , § 4 Nr. 14 und Nr. 16 Buchst. c UStG
Sachverhalt
Die gemeinnützige Dornier-Stiftung, die u.a. Grundlagen und Anwendungsforschung klinischer Psychologie betreibt, unterhielt eine Ambulanz, in der Diplompsychologen – mit Zulassung als Heilpraktiker und Fortbildung Psychotherapeut – Patienten psychotherapeutisch behandelten. Auch die Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten waren keine Ärzte.
FA und FG waren der Auffassung, wegen der fehlenden ärztlichen Aufsicht seien die Leistungen nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG befreit. Auf Art. 13 Teil A Buchst. b der 6. EG-RL könne sich die Klägerin nicht berufen. Der BFH hielt mehrere Fragen zur Auslegung der Richtlinienbestimmung für erforderlich (BFH, Urteil vom 14.12.2000, V R 54/98, BFH-PR 2001, 110).
Entscheidung
Der EuGH hat die Fragen, wie in den Praxis-Hinweisen erläutert, entschieden. Der BFH wird nun den konkreten Fall unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Auslegung der Richtlinie entscheiden.
Hinweis
Die nationalen Steuerbefreiungen für Heilbehandlungen sind nicht ganz mit denen der Richtlinie abgestimmt. Deshalb und weil für die Auslegungen der entsprechenden Richtlinienbestimmungen der EuGH zuständig ist, hatte der BFH mehrere Fragen vorgelegt. Das sind nach dem Besprechungsurteil die Grundlagen für die Abstimmung:
1. Für Steuerbefreiungen allgemein gilt stets die Regel: sie sind – unter Berücksichtigung des Ziels der Befreiung – eng auszulegen (Rz. 42). Zu beachten ist (auch), dass Wirtschaftsteilnehmer, die die gleichen Leistungen erbringen, bei der Mehrwertsteuer nicht ungleich behandelt werden dürfen (Neutralitätsgrundsatz – Rz. 44)
2. Die Befreiung in Art. 13 Teil A Buchst. b und c der 6. EG-RL soll die Kosten der Heilbehandlungen senken und diese dem Einzelnen zugänglicher machen (Rz. 43). Angesichts dieses Ziels ist der Begriff "ärztliche Heilbehandlung" nicht eng auszulegen (Rz. 47); die Leistungen müssen aber – als "Heilbehandlungen" im Bereich der Humanmedizin – zur Diagnose, Behandlung und zur Heilung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen dienen (Rz. 48); damit sind auch Leistungen von Personen erfasst, die keine Ärzte sind, aber arztähnliche Leistungen erbringen, z.B. auch psychotherapeutische Behandlung durch Diplompsychologen (Rz. 50).
Für die Abgrenzung – ärztliche oder Krankenhausbehandlung – ist weniger die Art der Leistung, sondern der Ort der Leistung entscheidend: Erstere werden außerhalb von Krankenhäusern im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen Patient und Behandelndem erbracht – typischerweise in einer ärztlichen Praxis (Rz. 47).
3.Leistungen, die in keinem Zusammenhang mit der bezeichneten Behandlung des Leistungsempfängers...